Anke von der Emaloca

Tallinn – Sängerfest und noch viel mehr

(8-25) Über eine Woche waren wir in Tallinn. Unbestritten war das Sängerfest der Höhepunkt, aber auch sonst sind wir von der Stadt, ihren Museen und der Atmosphäre begeistert – trotz richtigem Schietwetter. Tallinn hat viel mehr zu bieten als „nur“ eine Weltkulturerbe-Altstadt.


abamu - Museum der Besatzungen und der Freiheit“


Mittels einem hervorragendem Audio-Guide wird uns „die jüngere Geschichte Estlands von 1940 bis 1991 nahegebracht. Die Ausstellung zeigt den unbändigen Freiheitswillen der Esten.

Auch die Auseinandersetzung der nach Sibirien deportierten Menschen oder der geflüchteten Esten mit der Frage „Was ist Heimat“ werden aufgeworfen. Und immer wieder die Frage an die Besucher: „Wie würdest du entscheiden? Bleiben oder fliehen? Kämpfen oder anpassen?“


Das Kunstmuseum - Kumu


Hier wird so viel angeboten, dass man dort einen ganzen Tag verbringen könnte. Uns hat eine Videoinstallation eines isländischen Künstlers begeistert. Gitarre spielende Tänzerinnen, die ihre Choreografie entlang mehrerer, im Kreis aufgehängter Leinwände vorführen.

Auch die Abteilung über die Kunst während der Besatzung und die nachfolgende Auseinandersetzung nach 1989 ist sehenswert.


Das unglaubliche Sängerfest - Samstag


Stellt euch vor, es ist Samstag, es regnet bisweilen in Strömen. Ca. 40.000 Akteure – SängerInnen und TänzerInnen - lassen sich davon nicht abhalten. Lachende Gesichter, Fahnen schwenkend, mal singend, mal tanzend, ziehen sie kilometerweit bis zur Sängerbühne (Laululava).

Als die Liedermuschel sich mit den SängerInnen gefüllt hat, erklingen Trompetenklänge von einem hohen Turm an der Seite. Wir blicken hoch, eine Flamme wird angezündet. In genau diesem Moment fängt der Riesenchor an zu singen. Gänsehaut!

Ab 19:00 großes Konzert im Regen. Wir bekommen sehr anspruchsvolle Orchestermusik und Chorwerke in unterschiedlicher Zusammensetzung geboten. Die Zuhörerschaft ist bewegt, gesammelt und fokussiert – trotz 13 Grad und Dauerregen.


Als wir um 23:00 wieder an Bord sind, schlafen wir noch lange nicht. Wir wärmen uns mit Grog und können noch gar nicht fassen, woran wir teilhaben durften.


Das unglaubliche Sängerfest - Sonntag


Am Sonntag geht es weiter. Es sind noch viel mehr Besucher (rund 100.000) als Samstag da. Wir haben dieses Mal keine Sitzplatzkarten, sondern stehen inmitten einer großen Menschenmenge am Hang. Manche haben Sitzdecken ausgebreitet, obwohl es immer wieder nieselt oder schauert.

Viele schwenken die estnische Flagge. Nach Kinder-, Frauen-, und Männerchören kommt dann wieder der große gemischte Chor. Die Melodien scheinen vielen bekannt zu sein, einige Besucher singen mit. Die Stimmung erscheint uns noch gelöster und beschwingter als am Samstag.

Die Sänger und Dirigenten werden enthusiastisch gefeiert. Bei den letzten Liedern leuchten unzählige Handys auf und untermalen die feierliche Stimmung.


Ganz am Schluss kommt der 88 jährige Dirigent Neeme Järvi auf das Podium. Verschmitzt stimmt er einen fröhlichen Marsch an.

Wie auf ein Kommando werden die unzähligen estnischen Fahnen jetzt nicht mehr geschwenkt, sondern in die Luft gestoßen. Doch es hat nichts militaristisches an sich. Es sieht aus, als ob die Fahnen und ihre Besitzer hüpfen würden. Reich beschenkt verlassen wir das Stadion.

1869 gab es das erste Sängerfest, wir waren beim 28. Mal dabei. In diesem Stadion haben im Jahr 1988 300.000 Esten die von den Sowjets verbotenen Lieder, vor allem auch die Nationalhymne, gesungen. (Es gibt 1,3 Millionen Esten.) Eine singende Revolution - das wundert uns nach diesem Erlebnis gar nicht mehr!

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von Anke von der Emaloca 2. Juli 2025
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von Anke von der Emaloca 25. Juni 2025
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von Anke von der Emaloca 17. Juni 2025
(5-25) „Lass uns noch bleiben, lass uns nach Nida fahren!“ Noch erschöpft von den Erlebnissen mit dem russischen U-Boot und der anstrengenden Nachtfahrt stimme ich sofort zu. Eigentlich wollten wir am nächsten Morgen weiter, den Wind nutzen. Aber es ist uns beiden unmöglich, nicht in das Haff zu segeln und die kurische Nehrung zu ignorieren. Die Heimat meines Vaters steckt wohl doch tief in mir.