Finnland – von Rauma bis zu den Alandinseln
(10-23) Von Rauma hangeln uns weiter durch immer abwechslungsreichere Schärengewässer zum Alandarchipel. Oft können wir segeln, zwischendrin muss auch der Motor ran, je nach Richtung des Fahrwassers oder der Windstärke. Das Wetter ist umgeschlagen. Immer mehr Regenschauer, immer weniger Sonne, die Temperaturen sind gesunken. Wir entscheiden uns, zügig weiter zu segeln.

Kultur in Rauma
Nach der doch sehr dünn besiedelten Westküste und den einsamen Häfen haben wir Lust auf Kultur und sind gespannt auf Rauma (rd. 38.000 Einwohner). Deren Altstadt steht wegen ihres großen Holzhausensembles auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO. Groß angekündigt im Internet ist die ‚Spitzenwoche‘ mit vielen internationalen Ständen, Straßenmusik und weiteren Aktivitäten.

Spitzenwoche, falsch verstanden
Dann verstehen wir: Spitzenwoche bedeutet wirklich Spitze im Sinne von der alten Handarbeitskunst Spitzenklöppeln.

Die internationalen Stände sind fast alle Imbissstände und den einzigen Straßenmusikanten, den wir sehen, ist ein ca. 10 jähriger Junge, der auf der Geige übt. Flohmärkte in den Hinterhöfen, ein paar Frauen zeigen eine Art Tanz und erzählen vermutlich Witze dazu.

Für die Stadt und ihre Bewohner sicherlich schön, gemeinsam Aktivitäten auf die Beine zu stellen – aber auf uns springt der Funke nicht über.
Ehemalige Militärinsel Kuuskajaskari
Am nächsten Tag landen wir gerade mal 3,3 sm weiter an einem Steg auf einer ehemaligen Militärinsel. Reste von Militäranlagen (Schießstände, Geschütze, Unterstände …) finden sich überall. Nun ist die Insel für den Tourismus freigegeben.

Finnisch-polnische Wurstbekanntschaften
Es gibt einen hervorragenden überdachten Grillstand. Dort machen wir Bekanntschaft mit einer Crew von einem kleinen Motorboot: Einem Pole, der seit einem Jahr in Rauma bei einer großen norwegischen Firma arbeitet, zwei polnischen Gästen von ihm und seinem finnischen Arbeitskollegen.

Wir grillen Zucchini und Aubergine - sie natürlich Wurst, von der mein Skipper gleich zwei abbekommt (wahrscheinlich aus Mitleid).

Der Finne spricht nicht viel, was uns nicht mehr verwundert. Denn außer einem zurückhaltenden: „Wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin?“ sind noch nirgendwo Gespräche mit Finnen zustande gekommen. Die beiden Polen erzählen, dass sie aus Masuren stammen nahe der Grenze von Belarus und Russland, also wirklich „nette Nachbarn“ haben.
Uusikaupunki und die finnische Sprache
Uusikaupunki heißt nichts anderes als ‚Neue Stadt‘, auf schwedisch Nystad. Uusikaupunki klingt für uns nur bizarr. ‚Gasthafen‘ heisst auf schwedisch ‚Gästhamn‘, auf finnisch: ‚Vieras satama.‘ Wir haben bei der finnischen Sprache keine Chance, können uns oft nicht einmal die Namen der Orte merken, geschweige denn richtig schreiben.

Uusikaupunki ist mit rund 1500 Einwohnern nicht groß, aber die Atmosphäre ist angenehm. Der Stadthafen ist belebt aber nicht hektisch oder laut, auf beiden Seiten des Wassers gibt es Restaurants und Cafés und abends gibt es in der alten Kirche ein hochklassiges Holzbläserkonzert. Wir blühen auf!

Katanpää – Auslöser für einen kurzen Ausflug in die finnische Geschichte
Schon wieder gelangen wir auf eine aufgegebene Festungsinsel. Anfang des 20. Jahrhundert hat Zar Nikololaus II eine Art „Festungskette“ entlang der Küste errichtet und Katanpää ist ein Teil davon. Finnland war jahrhundertlang ein Teil Schwedens, geriet zunehmenden unter den Einfluss des russischen Kaiserreiches und wurde diesem 1809 als „Großfürstentum Finnland“ einverleibt. Mit dem Sturz des Zaren 1917 konnte sich Finnland von Russland loslösen.

Die Insel wurde in den 30 Jahren auch als Gefängnisinsel genutzt, dann von der finnischen Armee als Übungsplatz und Beobachtungsposten.
Neugierig geworden, hilft uns Wikipedia Licht ins Dunkel der finnischen Geschichte zu bringen. Und wir staunten nicht schlecht über unsere Wissenslücken, die auch nicht durch die kurzen, englischen Texte auf den Infotafeln gefüllt wurden. Wen es interessiert: Kurzfassung dazu am Textende

Seglinge, erster Stopp im Alandarchipel
Die Alandinseln gehören zwar zu Finnland, können ihre inneren Angelegenheiten aber weitgehend politisch autonom bestimmen. Die Amtssprache ist schwedisch.
Seglinge ist ein netter, liebevoll geführter Hafen. Im kleinen Hafenbüro gibt es geräucherten Sik. Natürlich schlagen wir zu. Am Abend kommen Autos angefahren, eine Frau baut einen Stand auf, es bildet sich eine Schlange. Gerd, neugierig, geht gucken und kommt wieder: Du glaubst es nicht. Es gibt dort thailändisches Sushi und Frühlingsrollen.“ Das muss wohl ein echtes kulinarisches Highlight sein in dieser Inselwelt.

Die Finnen und die Flaggen
In Finnland und auf den Alandinseln nimmt man es mit den Flaggen ganz genau. Abends um 21: 00 Uhr werden die Flaggen eingeholt. Wir sind Gäste hier und halten uns auch strikt daran – obwohl wir nichts von dieser merkwürdigen Tradition halten.
In Seglinge springe ich also Punkt 21:00 Uhr hin zur Fahne. Mit mir stehen auf den anderen 4 Booten Menschen und tun das Gleiche. Gerd sitzt in der Kuchenbude und lacht sich ins Fäustchen, denn ich bekomme den blöden Stock nicht aus der Halterung. Es hat geregnet, das Holz ist aufgequollen.

Während ich mich abmühe, sagt der Finne vom Nachbarboot in perfektem Deutsch zu mir: „Sie müssen das nicht tun als Ausländer. Das machen nur wir Finnen.“ „Aber wir haben gelesen, dass es hier sehr genau genommen wird. Im Hafen von Mariehamn geben sie ja sogar einen Kanonenschuss ab!“

Inzwischen habe ich die Fahne in der Hand. Während wir beide unsere Nationalflaggen zusammenrollen, gesteht er: „Wir Finnen sind da ein bisschen komisch. Ich freue mich immer, wenn ich in Schweden bin, dass es dort niemand so genau nimmt.“ Wir lachen beide los, die ordentlich zusammengerollten Fahnen in der Hand.
Zeichen der Zivilisation
Was auffallend ist: seit Uusikaupunki begegnen uns wieder Segelboote. Die Hafengebühren steigen von ungefähr 15 auf 30 Euro, es gibt viel mehr englischsprachige Informationen und in den Häfen sind wir nicht mehr das einzige ausländische Boot.

Von beiden Seiten
Hart am Wind geht es 32sm von Seglinge nach Degerby, einem guten Absprungsort nach Schweden. Wir legen zwischen einem Finnen und einem Engländer an. Von beiden Seiten wird auf uns eingeredet. Der Finne ist zu unserer großen Überraschung mehr als redselig. Wir wissen gar nicht, wem wir uns zuerst zuwenden sollen.
Während der Engländer erzählt, wie schwierig es seit dem Brexit sei, Boote auszuführen und dass er sein Boot hier auf den Alandinseln lasse und nur ein 90 Tage gültiges Visum habe, macht der Finne auf sehr ironische Weise deutlich, dass er die Privilegien der Aländer nicht für richtig hält.

Die Fähren z.B. seien für die Aländer umsonst, und die Finnen müssten bezahlen. Dabei zahlt der finnische Staat doch die Fähren und die Aländer sprächen nicht einmal finnisch. Man sollte den Schweden die Alandinseln schenken. Aber schön sei es ja hier. Dann legt er ab.
Wir bieten Hafenkino
Vielleicht liegt es daran, dass wir so viel Kommunikation in wirklich kurzer Zeit nicht mehr gewöhnt sind … Jedenfalls als mein Skipper einen Fender den Mast hochzieht, damit der Mast nicht anfängt zu vibrieren und die Kabel anfangen zu ‚klötern‘, da macht er irgendetwas falsch. Am Ende baumelt der Fender hoch oben im Mast. Die Leine mit der man den Fender wieder herunterziehen kann, liegt allerdings auf dem Deck von Emaloca.

Auf in den Mast, Smutje
Und wer muss in den Mast gezogen werden und den Fender wieder herunterholen? Ich! Wir fragen einen Finnen, ob er die Sicherungsleine halten könne, während mein Skipper mich mit der Winsch hochkurbelt. Er willigt ohne zu zögern und ohne zu sprechen ein. Als wir ihm erklären, warum wir im Hafen einen Fender hochziehen, verzieht er keine Miene. Typisch finnische Zurückhaltung oder denkt er, wir sind zwei verrückte Alte?

Ich zwänge mich in den Bootmannstuhl (ähnlich wie ein Kindersitz nur ohne Beine) und ab geht es 13 Meter in die Höhe. Alles klappt bestens. Hoffentlich verläuft die geplante Überfahrt nach Schweden auch so glatt. Die Prognosen für die nächsten Tage sind suboptimal.

Die jüngste Geschichte: 3 Kriege in Finnland
Der Winterkrieg 1939/40: 1939 wurde im Nichtangriffspakt zwischen der Sowjetunion und Deutschland Finnland der Sowjetunion zugeschlagen. Als die Sowjetunion Gebietsanforderungen stellte, Finnland sich aber widersetzte, kam es zum nur wenige Monate dauernden Winterkrieg. In einem Friedensvertrag konnte Finnland seine Unabhängigkeit bewahren, musste aber große Teile Kareliens abgeben.
Der Fortsetzungskrieg 1941-44: 1941 brach Deutschland den Nichtangriffspakt und griff die Sowjetunion an. Finnland trat in den Krieg ein und kämpfte an der Seite Deutschlands. Finnland konnte große Teil von Karelien zurückerobern.
Mit den Erfolgen der Roten Armee wendete sich 1944 das Blatt, Finnland musste sich aus den Gebieten wieder zurückziehen. Erneut bestand die Gefahr, dass die Sowjetunion Finnland besetzt.
Finnland schloss mit der Sowjetunion einen Separatfrieden, verlor die zuvor wiedereroberten Gebiete und wurde verpflichtet, die deutschen Truppen umgehend aus Finnland zu vertreiben.
Der Lapplandkrieg 1944-45: In Lappland waren (nach einem Bericht im Deutschlandfunk) mehr als 200.000 Soldaten stationiert. Nun mussten die Finnen gegen ihre „Waffenbrüder“ die Deutschen kämpfen, mit denen sie zuvor gegen ihren gemeinsamen Feind, die Sowjetunion gekämpft hatten. Das Land konnte so aber seine Unabhängigkeit bewahren. Die baltischen Staaten wurden wieder Teil der Sowjetunion.
Für die Finnen ist dieser Teil der Geschichte wohl schwierig. Jedenfalls haben wir nichts davon auf Infotafeln oder in Ausstellungen erfahren.
Vor dem Hintergrund dieser Geschichte ist die große Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft des ehemals neutralen Staates Finnland nur zu verständlich.
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