account

Schäre auf Schäre

(7-2018) Schwerelose Tage auf Öland wurden abgelöst von losgelösten Tagen an wunderschönen Schärenplätzen. Baden, träumen, lesen, kochen, abends einen Wein genießen. Jetzt, zu Midsommer, wettern wir im Hafen von Nyköpping echtes Schietwetter ab. Doch bis hierin haben wir wieder unvergessliche Eindrücke gesammelt, z.B. Hammerböen und unergründliches Fischverhalten.

In Västervik sind wir mit meinem Cousin Ernst und dessen Frau Ingrid zusammengtroffen. Sie kennen die Schärenlandschaft Ostschwedens seit vielen Jahren und damit auch besonders schöne, geschützte oder urige Stellen. Häufig werden Erinnerungen an die alte Fernsehsendung „Die Kinder von Bullerbü“ wach. Mit den beiden kam das hochsommerliche Wetter allmählich auf Normaltemperatur, doch die uralten Felsen speichern die Sonne und schaffen auch abends noch ein angenehmes Mikroklima.

 

Aber seit gestern ist absolutes Schietwetter, uns nur zu gut bekannt von unserem Törn entlang der schwedischen Westküste im letzten Jahr. Wir sind daher rund 40 Seemeilen nach Nyköpping gesegelt – dabei ist permanente Konzentration gefragt. Denn die Fahrwasser zwischen den Schären verlaufen natürlich nicht gradlinig, sondern schlängeln sich vorbei an den zahlreichen kleinen Inseln oder Über- und Unterwasserfelsen. So kommt der Wind ständig aus einer anderen Richtung, die Segelstellung muss entsprechend immer angepasst werden.

Doch damit nicht genug, mal schirmt eine Schäre den Wind völlig ab, das Boot liegt plötzlich in der Flaute und die Segel schlackern vor sich hin, bis es aus der Abdeckung heraus ist. Dann wiederum können zwischen den einzelnen Schären Düseneffekte entstehen, die aus einer normalen Windgeschwindigkeit plötzliche Böenhämmer machen – nicht unbedingt vorhersehbar.


Wir haben so eine unangenehme Erfahrung machen müssen. Der Wind war grundsätzlich weniger geworden, das Wasser absolut ruhig und wir wollten das Reff aus unserem Groß herausbinden. Mein Skipper geht nach vorn, ich steuere das Boot in den Wind. Wir haben uns für dieses Manöver eine kleine Ausbuchtung mit ausreichender Tiefe ausgesucht. Viel Platz ist nicht, wir sind ja in einem Schärengarten. Das Reff ist herausgebunden, mein Skipper schießt die Leine auf.


Plötzlich kommt, ich weiß nicht woher, eine heftige Windböe und greift in das gerade ausgereffte Segel. Emaloca legt sich sofort auf die Seite, trotz ihrer 6,5 Tonnen. Ich sehe erleichtert, dass die alten Surferinstinkte meines Skippers funktionieren, er behält die Balance. Uff! Aber das Boot rast auf die nächste Schäre zu. Leider sind meine Segelinstinkte nicht so ausgeprägt. Noch ehe ich darüber nachdenken kann, was zu tun ist, brüllt Gerd mir den Befehl zu: „Mach die Schot los!“ (Damit wird der Druck aus dem Segel genommen, denn der Wind hat weniger Angriffsfläche.)

 


Natürlich hört die Krängung sofort auf und das Boot verliert an Fahrt. Nochmals uff! Alles gut gegangen. Anders als in den Schären sieht man in der freien Ostsee in der Regel solche Böen kommen und kann sich darauf einstellen.


Tiere in den Schären 

Einige Schären sind als Vogelschutzgebiete ausgewiesen und dürfen in der Brutzeit oder ganzjährig nicht betreten werden. Doch Tiere sind eigenwillig: Wir sahen wie Austernfischer lässig über eine Wohnstraße spazierten, eigentlich scheue Kanadagänse ihre Jungen direkt vorm Hafenkontor spazieren führten, Haubentaucher direkt vor einen alten Fischerkai ihre Nester behocken und Schwalben, die ihre Jungen in alten Treckerreifen am Kai füttern.

Und wir sahen noch etwas anderes und konnten es kaum glauben. Mein Skipper und Cousin Ernst hatten eine neue Bordtoilette eingebaut. Sie funktionierte einwandfrei, zwei Tage lang. Dann sog die Pumpe, die Meerwasser für die Spülung zieht, kein Meerwasser mehr ein.


Die Ursache kam nach sorgfältigem Auseinandernehmen der Mechanik zu Tage: zwei kleine Fische waren angesaugt worden und hatten alles blockiert! Was hatte sie bloß dazu bewogen, sich ansaugen zu lassen? Wollten sie vor einem Hecht fliehen um nicht gefressen zu werden? Haben sie freiwillig den Tod gewählt, weil sie wie Romeo und Julia nicht zusammen sein durften? Wir wissen es nicht.

P.S.

Nach so viel beschaulicher Insel- und Schärentingelei sind wir bereit für die Stadt. Stockholm, wir kommen! Auch wenn es noch ein paar Tage bis dahin dauern wird, denn die Windprognosen sind eher mau.

Share

von Anke von der Emaloca 22. April 2025
Den nachfolgenden Text habe ich 2018 geschrieben – und ich finde ihn nach wie vor aktuell. Das deutsche historische Museum Berlin hatte zu einer Blogparade aufgerufen: „Europa und das Meer.“ Das Thema ist meinem Skipper und mir eine Herzensangelegenheit. Wir sind im Sommer immer drei bis vier Monaten mit dem Segelboot auf der Ostsee unterwegs. Der Text erzählt, wie wir uns als Europäer mit dem Meer verbunden fühlen, was wir vom Meer lernen und was wir verlieren können, wenn Europa nicht zusammenhält und seine Werte verrät.
von Anke von der Emaloca 14. September 2024
(12-24) Nun sind wir in unserem Heimathafen Orth auf Fehmarn angekommen. Erst vor zwei Wochen haben wir Kopenhagen verlassen und es ist doch schon so lange her.
von Anke von der Emaloca 30. August 2024
(11-24) Vor allem ich merkte, der Speicher ist voll. So viele Eindrücke, Erlebnisse, Kontakte … ich konnte eine Auszeit nach dem Motto „Urlaub von der Reise“ gebrauchen. Prompt verordnete der Wind uns eine Pause von über einer Woche! Und danach kam das Museum Lousiana bei Kopenhagen. Wow!