Von Estland in die finnische Schärenwelt – dann endlich Sommer
(9-25) Von Tallin segelten wir auf die Insel Naissare, nur 8 Seemeilen von der spannenden Hauptstadt Estlands entfernt. Hier sollte am nächsten Morgen unser Absprunghafen nach Finnland sein. Wieder einmal machte zu starker Wind uns einen Strich durch die Rechnung.

Doch die Insel Naissaire entschädigte uns mit einer wunderschönen Natur, verblüffte uns mit skurrilen, alten russischen Militärfahrzeugen und beschenkte uns mit Unmengen an Pfifferlingen.


Erst am dritten Morgen, obwohl Wind und Wellen noch keinen gemütlichen Törn versprachen, segelten wir um halb 5 los. Denn mittags sollte Seenebel kommen und da wollten wir nicht gerade auf dem viel befahrenen finnischem Meerbusen herumschippern, dann lieber eine etwas ruppige Überfahrt in Kauf nehmen.
Kaum zu glauben!
Als wir nach 5 Stunden in die finnische Schärenwelt westlich von Helsinki eintauchten, waren die Wellen weg und im kleinen Hafen Porkalla trafen wir unsere holländischen Segelfreunde Tom und Marie Claire wieder. Wir standen auf dem Steg, breiteten die Arme aus, strahlten um die Wette und konnten es nicht glauben: endlich SOMMER!
Hier in den Schären gibt es keine durch Kaimauern geschützte Häfen, sondern nur einfache Stege. Man macht mit dem Heck an Mooringbojen fest und mit dem Bug an dem Steg.

Wenn in der Saison alle Bojen belegt sind, aber immer noch Boote kommen, hängen diese sich mit an eine Boje und quetschen sich noch in die Bootsreihe, das „Fenderknutschen“ beginnt, da die Boote immer enger aneinander geschoben werden. Das muss man mögen. Wir laufen einen Hafen möglichst nur an um Lebensmittel zu bunkern.

Einfach die Seele baumeln lassen
Seit zwei Wochen tingeln wir hier nun durch den Turku Schärengarten und sind im Alandarchipel angekommen. Es ist wenig Wind aber wenn es geht, nutzen wir unseren schönen Bunten und lassen uns ein paar Seemeilen bis zu unserem nächsten Felsenplatz ziehen - manchmal nur mit 2,5 Knoten (ca 5 Kilometer die Stunde).
Lesen, träumen, Gedanken schweifen lassen, baden, paddeln, kochen, den eleganten Flug der Seeschwalben und natürlich die Sonnenuntergänge bewundern … dankbar sein. Und wieder sind wir aus der Zeit gefallen.


Chantarelle oder Blaubeeren
Wir sind auf der Suche nach Blaubeeren. Ein Junge auf dem Fahrrad hält an und fragt, ob wir Chantarelle (Pfifferlinge) suchen. Wir verneinen und sagen, dass wir Blaubeeren suchen. „Aber hier gibt es viele Chantarelle!“ versucht er uns zu überzeugen.
Wir erzählen, dass wir gerade von der estnischen Insel Naissare kommen und dort viele Chantarelle gesammelt und gegessen hätten. „Ja, oft findet man Chantarelle, aber sie sind sehr klein! Bestimmt gibt es in Estland auch Chantarelle – aber hier gibt es richtig große!“
Als er merkt, dass er uns nicht überzeugen kann, verabschiedet er sich freundlich, aber achselzuckend und fährt weiter. Wir haben fast ein schlechtes Gewissen, aber der Blaubeerpfannekuchen schmeckt uns trotzdem ausgezeichnet.

Leben genießen in der Großstadt
Beim Beine vertreten treffen wir eine Finnin. Ihr Boot hat auf der anderen Seite festgemacht. Sie fragt, wo wir herkommen und als wir Deutschland sagen, strahlt sie über das ganze Gesicht und erzählt begeistert: „Im September geht meine Tochter nach Berlin, um dort ein Semester zu studieren!“
Gerd erwähnt, dass er mal in Berlin gelebt hat, es dort viel zu erleben gäbe und es bestimmt nicht einfach sei, sich auf das Studium zu konzentrieren. „Ja, ich weiß genau, was dort los ist. Aber meine Tochter ist jung, sie soll doch auch leben!“ strahlt sie uns an und macht sich weiter auf den Weg zur Badestelle, wo schon ein paar junge Leute auf sie warten. Was für eine tolle Mutter, denken wir!

Brexit und Helgoland
Wir sitzen auf dem höchsten Punkt einer Schäre, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Da kommt ein Trupp englischer Studenten dazu, die mit einem Segelboot ihrer Uni gekommen sind. Ein lockeres, chaotisches Gespräch entsteht. Brexit ist großer Mist, sind sich alle einig!
Ein Student kann es gar nicht fassen, und ist begeistert darüber, dass es so etwas wie die Schärenwelt gibt. „Hier ist ja nichts, gar nichts, das habe ich mir in England nicht vorstellen können!“
Ein anderer Student, der neben mir auf dem warmen Felsen sitzt, erzählt mir von Helgoland. „Da dürfen nur Kinder Fahrrad fahren, Erwachsenen ist es nicht erlaubt!“ Dann scrollt er wie wild auf seinem Handy, um mir ein Foto zu zeigen, was die Erwachsenen machen: Tretroller fahren.
„Und wenn man dann einen Alten den Berg hochrollern sieht!“ ahmt er die angestrengten Bewegungen und den keuchenden Atem nach und amüsiert sich darüber offensichtlich immer noch. Und ich amüsiere mich mit meinen 70 Jahren, dass er unser Alter offensichtlich gar nicht registriert hat.


Im Übrigen berichten uns alle Finnen, wie schrecklich der Sommer bisher war. Nun, das braucht man uns nicht zu erzählen, wir waren ja live dabei!
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