Anke von der Emaloca

Abschied von der Höga Kusten – Finnland lockt

(8-23) Nach drei Wochen Höga Kusten mit Stille, Natur und Idylle pur haben wir nun Lust auf etwas Neues: Vaasa, Finnland. Davor ist aber erst ein Elektronikproblem an Bord zu lösen. Dann führen wir ein unerwartet intensives Gespräch bei einer Pizza und landen schließlich in Skeppsmalen, einem nicht mehr zu toppendem Klischee von Idylle.

Der kleine, ruhige Hafen Veasand liegt am Fuße des Skuleberget, mit 286 Metern, die höchste Erhebung der Höga Kusten.

Natürlich steigen wir da hoch und natürlich sind wir wieder beeindruckt von den großartigen Ausblicken. Aber wegen der Seilbahn und des Restaurants tummeln sich hier oben viele Menschen.


Die nächsten Tage erklimmen wir andere Höhen und haben Berg und Aussicht wieder für uns.

Allmählich erwächst in uns das Bedürfnis nach etwas Neuem. Wir segeln über Trysunda nach Örnsköldsvik.

Die Stadt mit knapp 40 000 Einwohnern ist einer der größten Städte Nordschwedens und markiert das Ende der Höga Kusten.

Was ist mit der Bordelektronik???


Es passiert am Abend: Die Bordelektronik bricht zusammen, die Batterien scheinen kollabiert zu sein, die LED-Leuchte über der Pantry geht an und aus, obwohl sie gar nicht an sein sollte … Erst einmal den Hauptstecker ziehen! Mein Skipper schläft schlecht: Was ist die Ursache? Teure Reparatur? Wartezeit? …

Am nächsten Morgen erkundigt er sich schon beim schwedischen Nachbarn nach einer Werkstatt. Dann testet Gerd alles Mögliche durch und findet endlich die Ursache: unser Kühlschrank!

Glück gehabt


Das ist zwar ärgerlich, weil der Kühlschrank gerade mal 3 Jahre alt ist. Aber immerhin können wir problemlos weiterreisen. Wir kaufen in Örnsköldsvik eine Kühlbox - eine nicht optimale, aber schnelle und günstige Lösung.


Ein Grund zum Feiern! Wir gönnen uns eine Pizza im Hafenrestaurant und – vor lauter Erleichterung - auch eine Flasche Wein dazu.

Ein Paar, so um die Mitte 70, kommt auf die Restaurantterrasse und sucht vergeblich einen freien Tisch. Wir laden sie ein, sich zu uns zu setzen, was sie auch erfreut annehmen.


Tischnachbarn


Über die hervorragende Qualität der Pizza kommen wir bald auf das Rüstungsunternehmen Hägglund zu sprechen, welches in Örnsköldsvik seinen Sitz hat. Dann auf den russischen Angriffskrieg, den türkischen Ministerpräsidenten und den Natobeitritt von Schweden. Unser Tischnachbar runzelt die Stirn und sagt: „Wenn ein Kurde inzwischen einen schwedischen Pass hat, kann er nicht abgeschoben werden, aber was passiert mit den abgeschobenen Kurden in der Türkei. Ich weiß es nicht“


Beklemmende Konfrontation mit deutscher Vergangenheit


Wir erzählen von unserer ehrenamtlichen Tätigkeit in der Zweiten Heimat Warburg. Fast beiläufig und scheinbar emotionslos sagt die Frau: „Meine Mutter und meine Großmutter waren in Auschwitz und in Bergen-Belsen. Aber nur ein Jahr. Mein Vater war nicht in einem Konzentrationslager, sondern nur in einem Arbeitslager!“ Gerd: „Aber die waren ja auch dazu da, die Menschen durch Arbeit umzubringen.“ Der Mann nickt.

Wir erzählen, dass unsere Eltern nie richtig über den Krieg und ihre Erfahrungen gesprochen hätten. Wir hätten immer nur Bruchstücke erfahren. Sie sagt: „Oh, meine Mutter hat erzählt! Alles! Zu viel!“ Wir schweigen einen Augenblick.



Irgendwie geht das Gespräch dann auch wieder um Kunst, Museen, AFD, die Schwedendemokraten …. Ich bemerke immer wieder, dass andere Gäste interessiert zu unserem Tisch blicken, es ist wohl offensichtlich, dass sich hier Fremde sehr intensiv unterhalten.

Unsere Verantwortung ist groß


Wir sitzen draussen, es wird kühl, der Abschied naht. Eine Frage liegt mir aber am Herzen: „Wie fühlen Sie sich, wenn Sie mit Deutschen jetzt an einem Tisch sitzen und reden?“ Die Frau antwortet ganz ruhig: „Oh, es ist nicht das erste Mal, dass ich das tue. Natürlich als Kind, da hatte ich große Angst nach Deutschland zu kommen. Aber es waren Ihre Eltern oder Großeltern, es waren nicht Sie!“ Wir können nur antworten: „Aber wir tragen eine große Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert!“

Die Verabschiedung ist herzlich. Wir alle finden, dass es gut ist, mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Das Gespräch lief übrigens die ganze Zeit auf Englisch, obwohl der Mann aus beruflichen Gründen sehr gut Deutsch konnte. Die Frau hat anfangs nur gesagt: „Ich verstehe alles in Deutsch – aber ich spreche es nicht!“

Gerd und mir geht das Gespräch noch lange durch den Kopf.


Skeppsmalen, die Postkartenidylle


Am nächsten Tag segeln wir in das ehemalige Fischerdorf Skeppsmalen. Bei der Einfahrt zum Hafen ist mein Stress so groß, dass mein Mund total austrocknet.

So eng, nicht tief und am Rande alles Felsen. Ich denke, dass wir die einzigen Verrückten sind, die mit einem Segelboot hier reinfahren. Weit gefehlt, am Abend kommt noch ein Schwede dazu. Er versucht Gerd den Surströmming, den sauren Hering, schmackhaft zu machen.

Skagshamn, der Absprung nach Finnland


Wir liegen als Einzige am Kai der größten Surströmmingfabrik Schwedens. Zum Glück ist die Produktion noch nicht angelaufen. Von hier aus werden wir morgen nach Vaasa, Finnland segeln. Gerade rechtzeitig, denn in ein paar Tagen wird es Starkwind geben, bei dem es nicht geraten ist, den bottnischen Meerbusen zu überqueren, sondern in einem sicheren Hafen zu sein.

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von Anke von der Emaloca 22. April 2025
Den nachfolgenden Text habe ich 2018 geschrieben – und ich finde ihn nach wie vor aktuell. Das deutsche historische Museum Berlin hatte zu einer Blogparade aufgerufen: „Europa und das Meer.“ Das Thema ist meinem Skipper und mir eine Herzensangelegenheit. Wir sind im Sommer immer drei bis vier Monaten mit dem Segelboot auf der Ostsee unterwegs. Der Text erzählt, wie wir uns als Europäer mit dem Meer verbunden fühlen, was wir vom Meer lernen und was wir verlieren können, wenn Europa nicht zusammenhält und seine Werte verrät.
von Anke von der Emaloca 14. September 2024
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von Anke von der Emaloca 30. August 2024
(11-24) Vor allem ich merkte, der Speicher ist voll. So viele Eindrücke, Erlebnisse, Kontakte … ich konnte eine Auszeit nach dem Motto „Urlaub von der Reise“ gebrauchen. Prompt verordnete der Wind uns eine Pause von über einer Woche! Und danach kam das Museum Lousiana bei Kopenhagen. Wow!