Bullerby, Saale-Unstrut und ein Trobadour im Schärengürtel
Wir suchen eine Ankerbucht und kommen in Bullerby an. An einem weiteren Abend liegen wir liegen allein an einem alten Steinkai, bis ein Ausflugsdampfer mit Troubadour anlegt. Und danach sind wir vor dem Schloss in Kalmar inmitten des Ironman gelandet. Ziemlich viele Erlebnisse für ein paar Tage.
Bullerby gibt es wirklich
Der Name steht am Steg, der von Mitgliedern des gleichnamigen Bootsclubs aus Västervik erbaut wurde. Wir kommen mit einem schwedischen Paar ins Gespräch, das dort mit seinem Motorboot liegt. Beide sprechen perfekt deutsch (ihr Vater war Deutscher) und spendieren am Abend eine Flasche Wein von der Unstrut. Wir revanchieren uns mit einem Glas aus unserer Flasche für besondere Anlässe, ein 12 Jahre alter Rum.

Astrid Lindgren habe dem Bootsclub erlaubt, diesen Namen zu nutzen. Ihr Geburtsort Vimmerby, an den sie regelmäßig immer wieder zurückgekehrt ist, liegt in der Nähe von Västervik.
Die beiden Schweden leben dort und wir erfahren, dass ihr Dorf jedes Jahr von 400 000 Touristen besucht wird. Attraktion ist eine Art Freizeitpark, der ähnlich wie die Karl May Festspiele in Bad Segeberg funktioniert – nur, dass aus den Büchern von Astrid Lindgren etwas vorgespielt wird.

Keine Burger bei Pippi Langstrumpf
Sie geben eine nette Anekdote aus dem Park zu Besten. Einmal wären aus Amerika Leute von McDonald‘s gekommen und hätten gefragt, warum es keine Burger und nicht einmal Pommes gäbe. Man habe ihnen eine Gegenfrage gestellt: „Wo habt ihr jemals gelesen, dass Carlson auf dem Dach oder Pippi Langstrumpf Burger gegessen hätten?!“

Die Vergangenheit bleibt präsent
Wir erzählen, dass wir mit großem Interesse die Kriegstagebücher von Astrid Lindgren gelesen hätten und sind uns einig, wie differenziert und weitsichtig sie den Krieg erfasst hat. Die Schwedin sagt plötzlich mit tiefer Überzeugung. „Schweden war nicht neutral im Krieg, nein, wir waren nicht neutral!“ Wir ahnen, dass sie es vielleicht als Kind eines deutschen Vaters in Schweden nicht immer nur leicht gehabt hat.
Ein alter Steinbruch
Den nächsten, wieder fast windlosen, Tag legen wir am alten Steinkai in Solbergnäset an. Der alte Steinbruch ist nun eine Art Freilichtmuseum.

Wundervolle Stille umgibt uns. Wir machen eine kleine Wanderung durch ein völlig ausgetrocknetes Gebiet. Die Zitterpappeln lassen in stummer Anklage gegen die Dürre ihre Blätter fallen, obwohl wir Hochsommer haben


„Bitte Platz machen“
Wir haben gerade zu Abend gegessen als plötzlich Live-Musik ertönt und schon kommt ein Ausflugsdampfer um die Ecke. Per Mikrofon kommt die Ansage, dass sie den Kai für eine Stunde bräuchten. Aber wenn wir unser Boot so weit es geht nach vorne verholen, dürfte der Platz für beide reichen. Kein Problem!
„Wo Liebe ist, da gibt es auch eine Lösung“
Kaum angelegt, springt der Troubadour, Andreas ist sein Name, vom Boot und baut seinen Notenständer auf.

Als ich ihm sage, wir hätten ja nicht gewusst, dass noch ein Boot käme, schüttelt er meine Hand, verneigt sich leicht und sagt: „Where love is, there is a solution!“ Ich verneige mich ebenfalls leicht und sage: „Wie recht du hast!“ Dann fängt er an zu singen und das kann er wirklich gut.

Krabbenessen mit Troubadour
Der Kapitän Thomas bringt uns, die wir gerade gegessen haben, eine große Schale mit Krabben und Mayonnaise. Sein Dank, dass wir Platz gemacht haben. ‚Krabbenessen mit Troubadour‘, so heisst auch das touristische Angebot, wie wir im Internet lesen. (Denn wir finden später die GoPro des Musikers. Per E-Mail verabreden wir uns für den nächsten Tag im Cafe des kleinen Hafen Paskallavik, um die Kamera zu übergeben.)
In einer Musikpause holt Gerd wieder unsere Flasche für besondere Anlässe heraus und spendiert dem Troubadour ein Glas. Dieser preist den Trunk in höchsten Tönen seinem Publikum an. Die Schweden machen Ah und Oh.

Ich denke schon, dass sie nun von Bord kommen und auch einen Schluck wollen - dafür hätte die Flasche bei Weitem nicht gereicht. Doch sie erheben nur ihr Plastikbecher und prosten Andreas zu.
Nach einer Stunde legt das Boot wieder ab. Die Fahrgäste winken uns zu und rufen hejda, hejda, hejda (gesprochen heydoh, tschüss).
Der Mond hat seinen Auftritt
Jetzt klingt es vielleicht etwas kitschig, aber es war einfach so: Stille kehrt ein. Haben wir das nur geträumt? Nein, die Schale Krabben sind der Beweis. Wir essen so viel davon wie wir können, der Rest wird dem Meer geopfert.

Als wir wieder im Cockpit sitzen und ein weiteres Glas Wein trinken, geht der Mond kupferfarben vor uns auf. Gerd und ich stehen unabgesprochen auf, die Weingläser in der Hand und singen die wohl schönste Strophe von „Der Mond ist aufgegangen“. (Gerd ist eher melodiesicher, ich leider eher nur textsicher.)
Siehst du den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen die wir getrost verlachen, weil unsere Augen sie nicht sehn.
Armer Musiker
Am nächsten Mittag treffen wir den Troubadour in Paskallavik. Gerd und ich sind uns einig, von einem armen Musiker nehmen wir nur einen Kaffee an. Punkt zwölf ist Andreas da.

Er outet sich als erfolgreicher Programmierer, der irgendwann seine eigene Firma verkauft hat, nur noch nebenbei programmiert und das halbe Jahr mit seiner Familie in Mexiko lebt. Musik ist einfach sein Leben und jetzt macht er nur noch das, was ihm Spaß macht. Sein erstes, eigenes Lied hat er gerade auf Spotify hochgeladen.
Kein Unterschied!?
Es macht für ihn keinen Unterschied, herauszubekommen, wie die Leute auf einem Ausflugsdampfer oder wie seine Mitarbeiter in der Firma ticken und wie er sie packen kann. Seine Frau, Amerikanerin, hat eine Internetfirma. Sie verkauft Mittel für brain health nutrifikation. Von wegen armer Musiker – und ich sitze mit knurrendem Magen vor einer Tasse Tee.

Nach fast zwei Stunden verabschiedet Andreas sich von uns mit einer herzlichen Umarmung und den Worten: „Ach wie ich mich freue, dass ich die Gopro vergessen habe. So schön, dass wir uns getroffen haben!“ Wir denken, das war jetzt keine Allerwelts-Begegnung. Echter kann ein amerikanischer Schwede nicht sein, oder?!
P.S.:
Es tut uns leid, aber die 2100 Männer und Frauen vom Ironman in Kalmar verdienen einen extra blog.