Anke von der Emaloca

Ganz langsam von Kristiansand nach Mandal - und nun?

(6-24) Starke Winde, natürlich immer von vorne, bringen uns mit Pausen irgendwann bis nach Mandal. Es orgelt gewaltig in Kristiansand, stampfende Rhythmen bringen uns fast in Trance und die Umwandlung eines Getreidesilos in großes Staunen. Als Zutat: Norwegen und Tiefs ziehen sich wie immer an.

Was für ein Klang


Wie schon vor 5 Jahren kamen wir in den Genuss eines (zu) kurzen Orgelkonzertes im Dom von Kristiansand – und wieder waren wir von dem einzigartigen Klang begeistert. Der Rolls-Royce unter allen Orgeln, die wir bislang gehört haben.

Die Organistin spielt unten in der Vierung Volksweisen von Grieg. Eine große Orgel im Hauptschiff und eine kleinere im Seitenschiff erzeugen ein absolut faszinierendes Klangerlebnis, das gerne hätte länger dauern können. Hier stehen moderne Technik und großes Können im Einklang miteinander.

Vom Getreidesilo zum Kunstsilo


Ein altes Getreidesilo in ein Kunstsilo umzuwandeln erfordert schon so einiges an Kreativität, Mut und bestimmt auch Geld.


Die Umwandlung ist unserer Meinung nach aber so hervorragend gelungen, dass es die Kunst schwer hat, gegen diese Architektur und die fantastischen Ausblicke auf das Meer anzukommen.

...

Wir hatten Glück, das Kunstsilo Kristiansand hat erst im Mai seine Eröffnung gefeiert. (www.kunstsilo.no)


Wie in Trance

Am Abend dann eine außergewöhnliche Tanzperformance. Ein und derselbe Rhythmus, fast 90 Minuten lang. Die Tänzer, immer wieder in unterschiedlichen, teilweise südamerikanischen Kostümen, fingen ganz langsam an, schritten immer wieder von hinten nach vorne auf das Publikum zu.

Nach und nach wurden einzelne Bewegungselemente angefügt, bis alles schließlich in einem furiosen, die Tänzer regelrecht befreiendem, Tanz endete.

Hört sich vielleicht langweilig an, aber durch den eindringlichen Rhythmus (es wurden zum Glück Ohrstöpsel verteilt) saßen wir wie gebannt, fast wie in Trance und konnten den Blick nicht abwenden.

Wir vergaßen während der Aufführung sogar die eindrucksvolle Architektur.

Der alte Tanz symbolisierte ursprünglich den Sieg der Christen über die Mauren. In dieser Performance wurde der Inhalt umgedreht. Hier befreien sich die oft an den Rand der Gesellschaft gedrängten Gruppen: queere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Revolutionäre ….

Interessante Gespräche, leider zu kurz


Im Hafen von Kristiansand kommen wir mit unseren Bootsnachbarn ins Gespräch. Die Frau spricht fast perfekt Deutsch und irgendwann geht es auch um das Thema Deutsche Vergangenheit.


Sie war wohl Ende der 60 Jahre in Deutschland und hat nie verstanden, warum die Deutschen in ihrem Alter so mit Schuldgefühlen beladen waren. Sie waren doch in der Nazizeit noch gar nicht geboren.

Bis heute spüre sie das. Dieses ständige Erinnern, sei doch fast zu viel. Ich erzähle ihr von dem Buch „Als die Großmutter im Regen tanzte“ von der Norwegerin Trude Teige. Der Roman thematisiert, wie schwer es norwegische Frauen und dann auch ihr Kinde hatten, wenn der Vater ein deutscher Soldat war.


Die Bootsnachbarin erwähnt, dass die Autorin die Sekretärin ihres früheren Mannes war. So klein ist die Welt. Gern hätten wir uns noch länger unterhalten, unsere Wege trennen sich zu schnell. 

Tyske brygga: Norweger, Pole, Kanadier und wir


Wir hangeln uns weiter Richtung Mandal und kommen an einen kleinen Steg. Ein ebenfalls Deutsch sprechender Norweger, macht Platz, damit wir auch noch anlegen können. Von ihm erfahren wir, dass die Kunstsammlung in Kristiansand vom ehemaligen Bankdirektor der norwegischen Bank stammt. Na, denn …

Der Steg heißt „Deutsche Brücke“, weil auch diese Schäre von den Nazis in Beschlag genommen wurde. Wir werden immer wieder an unsere Vergangenheit erinnert, zu viele Spuren haben die Nazis auch an dieser Küste hinterlassen.



Später kommen zwei Männer zu Fuß vorbei und begutachten die Wassertiefe am Steg. Ihnen ist die andere Seite zu voll. Der eine Mann ist Pole, der seit 15 Jahren in Kristiansand lebt und in der Gas- und Ölbranche arbeitet. Er sei Single und habe leider niemanden, der mit ihm und seinem 32 Fuß großen Boot segeln wolle.

Die Norweger, wenn sie denn segelten, hätten alle ihr eigenes, großes Segelboot. Wir bestätigen, dass unser Boot mit 30 Fuß hier wirklich total aus der Reihe fällt, wir sind wie Winzlinge gegenüber den riesigen norwegischen Motor- und Segelyachten.

Der Pole ist begeisterter Europäer und versteht nicht, warum seine Landsleute so skeptisch sind. Das Geld wollen sie gerne nehmen, aber die hinter Europa stehende und mit dem Geld zusammenhängende Idee würden viele nicht begreifen.


Wir Segler sind uns einig: Wir können auf der Ostsee von einer Küste bis zur nächsten segeln, es gibt keine Grenzen, das ist doch wirklich eine unbeschreiblich schöne Freiheit. Nur Kaliningrad fällt leider aus dem Rahmen.

Der andere Mann ist Kanadier, lebt und arbeitet in Dubai und besucht seinen polnischen Kollegen. Ihn begeistern die Landschaft und das Klima in Norwegen, wie zu Hause bei ihm in Neufundland.



„Ich bin bei 50 Grad von Dubai losgeflogen. Dort lebt man in einem Haus mit Klimaanlage, steigt in ein Auto mit Klimaanlage um zu einem anderen Haus mit Klimaanlage zu fahren. Vom Klimawandel ist in Dubai nicht groß die Rede. Die bauen lieber irgendwas Gigantisches für irgendwelche Touristen - ob die aber kommen??“

Dubai scheint ihn nicht gerade zu begeistern. Dann erzählt er noch von den vielen Russen, die dort sind. „Und niemand, wirklich niemand glaubt, dass in der Ukraine Krieg herrscht!“

Das Wetter hat uns fest im Griff


Kurze Hose, Sandalen und Badezeug haben wir weggepackt, Merino ist wieder In und wenn man das Schiff verlässt, Regensachen. Eine nicht abreißende Kette von Tiefs schaufeln starke Westwinde mit bis zu 3 Meter Welle an die Südwestspitze von Norwegen, teilweise gibt es Sturmwarnung.

Uns bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten und wieder einmal Tee (und abends Grog) zu trinken. Doch wie lange wollen wir in Mandal auf der Lauer liegen?

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von Anke von der Emaloca 22. April 2025
Den nachfolgenden Text habe ich 2018 geschrieben – und ich finde ihn nach wie vor aktuell. Das deutsche historische Museum Berlin hatte zu einer Blogparade aufgerufen: „Europa und das Meer.“ Das Thema ist meinem Skipper und mir eine Herzensangelegenheit. Wir sind im Sommer immer drei bis vier Monaten mit dem Segelboot auf der Ostsee unterwegs. Der Text erzählt, wie wir uns als Europäer mit dem Meer verbunden fühlen, was wir vom Meer lernen und was wir verlieren können, wenn Europa nicht zusammenhält und seine Werte verrät.
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