Anke von der Emaloca

Im Bann von Gotland

Randvoll mit Eindrücken verlassen wir die Insel Farö, den nördlichsten Punkt unserer Reise. Ein sattes Hoch liegt über Gotland und bringt herrliches Badewetter – aber kaum Wind. Segelnd und ‚motorend‘ hangeln wir uns langsam an der Ostküste Gotlands entlang. Dabei verfallen wir der kargen, meist schroffen, im Binnenland aber auch landwirtschaftlich geprägten Insel immer mehr.


Manchmal wirkt die Insel auf uns geradezu mediterran und das nicht, weil es hier auch noch ein Weingut gibt. Es sind die Kieferwälder, die Blicke auf das Meer, die Felsenküste.


Zweimal sind wir auf besondere, große Nutzgärten gestoßen, die jeweils zu einem Restaurant/Café/Museum gehörten. Kräuter, Tomaten, Kürbisse oder Kohl wuchsen dort inmitten von Blumenrabatten. Wir sahen auch zum Beispiel herrlich blühende Artischocken und Feigenbäume mit reifen Früchten.


Nicht einmal 60.000 Menschen leben auf Gotland, der zweitgrößten Insel der Ostsee, davon knapp 25.000 in Visby. Die Architektur ist klar und gradlinig (nur Visby fällt aus dem Rahmen).


Zahllose Steinmauern, die Feldgrenzen markieren, zeigen wie ‚steinreich‘ der Boden hier ist. Puppenstubenfeeling oder Zuckerbäckerarchitektur, wie teilweise auf dem Festland anzutreffen, gibt es hier nicht. So etwas würde auch nicht zu dieser Insel passen.


Ein Kalkberg ohne mich


Unser erstes Ziel auf der Ostseite Gotlands ist der Hafen von Valleviken. Schon von weitem sticht uns ein riesiger Kalkberg mit halb verfallener Kalkverladerampe ins Auge. Meinen Skipper packt die Abenteuerlust und wir machen an dem alten Kai fest. Nein, nicht wir!


Ich weigere mich strikt auf einen Betonpfeiler zu springen, von dort auf die schmale Rampe zu klettern und irgendetwas zu suchen, woran ich unsere Leinen festmachen kann. Da hilft auch kein: „Na los, mach schon, stell dich nicht so an!“ oder: „Ach komm, das schaffst du, ist doch ganz einfach!“


Ich verschanze mich im Cockpit und bin nur bereit das Boot zu steuern. Gerd springt und klettert problemlos, macht Emaloca fest und will mich überzeugen über die Betonrampe mit an Land zu kommen: „Die Brücke ist so breit wie ein Bürgersteig!“ „Mir egal, sie hat kein Geländer!“ „Du fällst doch auch nicht vom Bürgersteig, ich nehme dich auch an die Hand!“ „NEIN! Lass mich in Ruhe.“ Mitten in unserem Disput kommt Hans, macht sein Boot an unserem fest und geht mit an Land.


Ich vertiefe mich in das Buch „Eine Frau erlebt die Polarnacht“ von 1938, eine kühlende Lektüre für die heissen Sommertemperaturen. Was ich verpasst habe, zeigen die folgenden Bilder. Ein aufgegebener Kalksteinabbaubetrieb, der heute ein Filmstudio in seinen umgebauten Hallen beherbergt. Ein skurriles Szenario wie für Thriller von Hakan Nesser gemacht, der tatsächlich in der Nähe ein Ferienhaus hat.


Aus der Zeit gefallen


Ein Platz für die Nacht ist die Verladerampe zum Glück nicht. Schweden hatten uns aber von einem alten Kalksteinverladekai ganz in der Nähe erzählt. Wir machen dort fest und sind hin und weg, so ein unvergleichlicher Ort.


Vergessen ist der Hafen von Valleviken mit seiner Waschmaschine. Ein Bootsclub hat aus Holzresten etliche Tische und Bänke gezimmert und eine urige Grillmöglichkeit geschaffen. In der Saison scheint hier ein beliebter Ausflugsplatz zu sein, der uns an dem Abend aber ganz allein gehört.


Den nächsten Tag bleiben wir dort, erkunden nur die kleine Insel und den alten Steinbruch, wofür aber nicht mehr als eine Stunde erforderlich ist.



Wie relativ doch die Zeit bei unserer Art zu Reisen wird. Die Tage sind unendlich lang und gehen doch ganz schnell vorbei. Das Bild von den zerfließenden Uhren von Salvatore Dali fällt uns dazu ein. Wir sind uns bewusst, wie gut wir es haben.


Niemand ist in Stimmung für einen Hafen. Als der Wind am nächsten Abend für den Anlegeplatz ungünstig kommt, verholen wir uns in die Bucht davor, ankern, verbringen die Nacht unter einem grandiosen Sternenhimmel und legen am Morgen unter Segeln ab. Kein Motorengeräusch zerstört die Idylle. 23 sm (ca. 45 km) und 5 Stunden später legen wir im Hafen von Herrvik an.


Herrvik: Fisch, Kroatien und mehr


Hier liegen wir an der Innenseite der Aussenmole, die uns ganz allein gehört. Ein freundlicher Hafenmeister erklärt, dass hier das Trinkwasser aus dem Meer gewonnen wird, es in Herrvik noch richtige Fischer gibt und dass der kleine Strand hinter der Mole „Croatia beach“ genannt wird. „Wir haben hier zwar nicht die Wassertemperaturen wie in Kroatien, aber von den Felsen her sieht es doch genauso aus wie da!“



Wir kaufen fangfrische „Flundera“ bei einem Fischer für 1 EUR/Stck, die wir abends am Croatia Beach grillen. Köstlich!



Minen, Atomkraft und Botanik


Auf einer kleinen Küstenwanderung stoßen wir auf zwei Mahnmale. Das erste erinnert an deutsche Soldaten auf einem Minensuchboot im 1. Weltkrieg, das hier von russischer Seite aufgebracht wurde. Ein paar hundert Meter weiter ist ein großer Steinhaufen aufgetürmt worden. Auf einem Schild steht oben 26. April 1986 Tschernobyl, unten 11. März 2011 Fukushima. Den Text dazwischen können wir nur erahnen, denn die Schrift ist mit einem Luftgewehr fast ganz weggeschossen worden: „Möge unter diesen Steinen die Atomkraft begraben werden!“


Einen Linnéstieg entdecken wir auf einer Fahrradtour. Auch auf Gotland hat der große schwedische Naturforscher Pflanzenkunde betrieben und katalogisiert. Seine Arbeiten zur Pflanzensystematisierung haben bis heute Gültigkeit.


Über Närshamn in die Stokvikkenbucht


Der kleine Hafen von Närsham irgendwo im „nowhere“ wirkt auf uns schon zu verlassen. Wir motoren gleich am nächsten Morgen weiter, denn die Ostsee ist spiegelglatt und wird es auch bis zum nächsten Morgen bleiben.


Ungewöhnlich, erzählen uns die Einheimischen, eigentlich gäbe an dieser Küste immer Wind. Spontan entscheiden wir uns dafür zu ankern – in einer weiten Bucht mit einem Rundblick über die Ostsee bis zum Horizont. Am Abend verschmilzt der Horizont mit dem Meer in wunderschönen Pastelltönen. Wir können uns nicht satt daran sehen.


Die Südspitze Gotlands


Burgsvik bildet das Zentrum von Südgotland mit rund 350 Einwohnern! Der Hafen ist gut geschützt und strahlt eine heimelige Atmosphäre zum Wohlfühlen aus.




Mit dem Fahrrad machen wir noch eine Abschiedstour und stoßen im Körsbärgarden nicht nur auf ein schönes Café, sondern auf ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, privat errichtet und finanziert von einem Ehepaar. Wir sind begeistert und fühlen einen kleinen Vorgeschmack auf die in zwei Jahren stattfindende documenta in Kassel.


Der Hafen von Bursvik macht sich


Bursvik ist die letzte Station auf Gotland. Wir erwarteten einen kleinen Kai, aber erst in diesem Jahr wurde der Hafen ausgebaut, wir finden moderne Schwimmstege vor. Den Plänen nach zu urteilen, kann Bursvik einmal mehr werden als nur ein Absprungsort. Unsere Stimmung ist leicht wehmütig, weil es nun heisst, von Gotland Abschied zu nehmen.


Wir überlegen fast, noch ein paar Tage zu bleiben. Aber wir wissen ja auch, dass man nichts festhalten kann. Also geht es wieder nach Öland zum Leuchtturm „Langer Erich“. Von hier aus sind wir vor fast 3 Wochen nach Gotland aufgebrochen.


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von Anke von der Emaloca 22. April 2025
Den nachfolgenden Text habe ich 2018 geschrieben – und ich finde ihn nach wie vor aktuell. Das deutsche historische Museum Berlin hatte zu einer Blogparade aufgerufen: „Europa und das Meer.“ Das Thema ist meinem Skipper und mir eine Herzensangelegenheit. Wir sind im Sommer immer drei bis vier Monaten mit dem Segelboot auf der Ostsee unterwegs. Der Text erzählt, wie wir uns als Europäer mit dem Meer verbunden fühlen, was wir vom Meer lernen und was wir verlieren können, wenn Europa nicht zusammenhält und seine Werte verrät.
von Anke von der Emaloca 14. September 2024
(12-24) Nun sind wir in unserem Heimathafen Orth auf Fehmarn angekommen. Erst vor zwei Wochen haben wir Kopenhagen verlassen und es ist doch schon so lange her.
von Anke von der Emaloca 30. August 2024
(11-24) Vor allem ich merkte, der Speicher ist voll. So viele Eindrücke, Erlebnisse, Kontakte … ich konnte eine Auszeit nach dem Motto „Urlaub von der Reise“ gebrauchen. Prompt verordnete der Wind uns eine Pause von über einer Woche! Und danach kam das Museum Lousiana bei Kopenhagen. Wow!