Anke von der Emaloca

Liepaia, Ventspils und ein Sturm der sich gewaschen hat

(5,6 -2012) Nun sind wir in Lettland, haben uns in Liepaia, Pavilosta und Ventspils umgesehen, einen heftigen Sturm im Hafen abgewettert und werden unsere weiteren Reisepläne wieder einmal dem Wind anpassen.


„Liepaia lächelt zu. Lächle ihr entgegen“


So heißt es in einer Broschüre. Das fällt uns gar nicht schwer. Was für ein Szenenwechsel aus der beschaulichen Schärenwelt hinein in eine quirlige, lebendige Stadt mit rd. 76500 Einwohnern und vielen jungen Leuten. Es ist ihr anzumerken, dass es hier Hochschulen gibt und jede Menge Kreativität.


Das pralle Leben


Im Hafenviertel sind seit unserem ersten Besuch 2018 viele Cafés, Bars und Restaurants hinzugekommen, individuell, bunt und einfallsreich. Liepaia behauptet wahrscheinlich zu Recht von sich, die lettische Hauptstadt der Kreativität zu sein.


Am Wochenende feiern hier die Menschen das Leben (und manche wohl auch nur den Alkohol).


Der neue Yachthafen, den wir damals nur auf Plänen gesehen haben, ist seit diesem Frühjahr fertig, viele Fahrradwege sind angelegt und werden gebaut, die Stadt entwickelt sich langsam aber stetig weiter. Der lange, fantastische Sandstrand wird sicherlich auch viele Sommerurlauber anziehen.


Im Hafen liegen zwei Schiffe der Marine. Damit wird das nur 2 Mio. Einwohner große Lettland sich nicht verteidigen können. „Die Russen haben hier nur den Schrott und den Müll dagelassen!“ hören wir.


Über das Spannungsfeld zwischen dem russischen und lettischem Bevölkerungsanteil erfahren wir dieses Mal nichts. Nur noch: „Um in Liepaia einen guten, höher qualifizierten Job zu bekommen, muss man russisch können. Ich will aber Englisch lernen!“ Inwieweit das stimmt, können wir nicht beurteilen. Im Blog von 2018 habe ich mehr über Liepaia, die sowietische Vergangenheit und das Wüten der Nazis geschrieben. Leider war das Besatzungsmuseum in Liepaia wegen Umbaumaßnahmen geschlossen.

Musik spielt in Liepaia eine große Rolle, einige bekannte lettische Bands und Musiker kommen von hier. In der architektonisch eindrucksvollen Konzerthalle „Der große Bernstein“ treten hervorragende klassische Musiker auf.


Konzerthalle der Bernstein in Liepaia

Wir kamen in den Genuss eines kostenlosen Balkonkonzertes. Die Leute standen vor dem Balkon, saßen auf dem Rasen oder dem Kantstein, Kinder radelten und turnten auf der gesperrten Straße – zwanglose Wohlfühlstimmung ohne Eintritt!


Die andere Seite von Liepaia



Das findet alles auf der Seite des Yachthafens statt. Radelt man über die Kanalbrücke nach Norden, dort wo noch alte Industrieanlagen stehen, tut sich ein anderes Bild auf. Hier glänzt nichts, renovierungsbedürftige Häuser, die Straßen teilweise noch nicht einmal befestigt. Man sieht den Menschen, die dort leben an, dass sie nicht zum aufstrebenden Teil der Bevölkerung gehören.


Pavilosta, nicht so unser Ding


Nach 4 Tagen nehmen wir Abschied und segeln los. Wir haben unsere Pläne den Windverhältnissen angepasst und wollen weiter Richtung Riga. Erste Station ist Pavilosta. Unter Seglern wird der Hafen als absolut lohnenswert gehandelt. Wer eine kuschelige Hafenatmosphäre mit etwas Partystimmung mag und begeistert ist, dass der Hafenmeister perfekt Deutsch spricht, ist hier richtig.


Pavilosta

Auf uns ist die Begeisterung nicht so richtig übergesprungen. Wir kamen bei Windstille an und im Hafen stank es erbärmlich. Am Strand wussten wir warum. Unmengen an Tang verrottete dort vor sich hin. Wir mussten ein langes Stück gehen, um überhaupt ins Wasser zu kommen. Die Leute badeten mit Schuhen, der lange Weg ins etwas tiefere Wasser war mit Steinen übersäht.

Trotzdem scheint Pavilosta so richtig auf dem Sprung zu einem beliebten Badeort zu sein. In dem nur rd. 900 Einwohner großem Dorf wird kräftig gebaut, auf der Terrasse eines Hotels sollte der Aperol Spritz 8 Euro kosten (im Yachthafen immerhin ‚nur‘ 7 Euro).


Auf nach Ventspils

Ein heftiger Sturm kündigte sich an. Wir mussten uns entscheiden: Abwettern in Pavilosta oder schnell noch nach Ventspils weitersegeln. Weiter! Viel Welle und wenig Wind von hinten bedeuteten jedoch erst eine elende Schaukelei und anstrengendes Steuern, bis der Wind sich nach zwei Stunden erbarmte und endlich der Windvorhersage entsprach.


Voll war der Hafen nicht, neben uns waren nur noch zwei weitere, wesentlich größere Segelboote im Hafen bewohnt. Vier andere Boote schienen Dauerlieger zu sein.



Der Yachthafen hat zwar einen neuen Steg bekommen, aber ansonsten hat sich dort nicht viel geändert -‘Postsozialistischer Charme‘ ist eine freundliche Umschreibung auch für die unmittelbare Umgebung. Schade, es wäre so viel Potenzial da. Wie in Liepaia gibt es in Ventspils einen herrlich langen Sandstrand, der hier nur 5 Fußminuten vom Yachthafen entfernt liegt.


Yachthafen in Ventspils

Herbststurm im Sommer


Und am nächsten Tag legte der Wind los. Morgens konnten wir noch kurz zum Strand und auf die Mole gehen, um die Kraft des Windes und des Meeres zu bewundern. Dann trieben uns Regen und immer stärkere Böen schnell zurück zum Boot.


Sandsturm auf der Mole in Ventspils, Lettland

Der Hafen liegt zwar geschützt, aber es kam eine hohe Dünung hereingelaufen, die vom Hafenbecken abprallte und das Becken ins Tanzen brachte. Die Folge: die Boote fuhren vor und zurück, tanzten von Backbord nach Steuerbord, ruckten heftig in die Leinen.

Heftiger Hafenpogo, für uns eine neue Erfahrung


Wir haben uns eineinhalb Tag nicht von Emaloca entfernt. Die Vorleinen noch durch Ruckdämpfer verstärkt, achtern uns an zwei, anstatt nur an einer Mooringboje festgemacht und gewartet, bis der Sturm aufhört.


So etwas haben wir noch nicht erlebt. Windstärke 6 steigerte sich auf 7, dann 8 und ging in einer Spitze sogar mal auf 41 Knoten (Windstärke 9). Holla die Waldfee! Zum Glück kam der Wind fast von vorn, sodass Emaloca von den Böen nicht in voller Breitseite erwischt wurde.


Kulinarisch waren wir gut versorgt durch das hervorragende frische Obst und Gemüse, das es in Lettland auf den Märkten zu kaufen gibt. Ein Genuss, besonders, wenn man in vorseglerischen Zeiten selbst mal einen Gemüsegarten hatte. Den Propolishonig, den uns ein Händler anpries mit: „Der wirkt besser als Astra Zeneca“ verschmähten wir und kauften stattdessen Honig pur.


Ventspils – weitläufig verschlafen


So lebhaft Liepaia wirkt, so ruhig und gemächlich wirkt das nur halb so große Ventspils. Durch die Stadt ergießt sich ein aufwendiges Blumenmeer, andere Markenzeichen sind verschiedene Brunnen, die Kuhparade und der große Park mit den riesigen, alten Ankern. Neue Fahrradwege sind angelegt.


Gegensätze in Ventspils, Lettland

Nebensächlich, aber total auffällig ist, dass die ganze Stadt total gepflastert ist, Betonpflaster in allen Formen und Farben. Wir erfuhren, dass der Bürgermeister der Stadt ein passendes Bauunternehmen dafür hatte – nun sei er aber im Gefängnis.


Uferpromenade in Ventspils, Lettland

Die lange Uferpromenade ist fertiggestellt, aber man fragt sich wer da warum promenieren soll. Als wir samstags Abend um 9 Uhr durch die Stadt radeln, sind die Bürgersteige hochgeklappt, nur an einem Grillpub ist was los. Kein Wunder, dass der junge Hafenmeister aus Ventspils feuchte Augen bekommt, als er erfährt, dass wir in Liepaia waren. „Ah, die Stadt der Rockmusik, da ist wenigstens was los!“

Vom Winde verweht


In Liepaia haben wir uns von dem Plan nach Klaipeda zur kurischen Nehrung zu segeln verabschiedet. Wind gibt es die nächsten Tage zu viel oder zu wenig, aber dafür mit viel hoher, alter Welle. Noch länger in Ventspils bleiben wollen wir nicht. Wir disponieren kurz entschlossen um, lassen Emaloca ein paar Tage allein im Hafen und fahren mit dem Bus nach Riga.


Share

von Anke von der Emaloca 22. April 2025
Den nachfolgenden Text habe ich 2018 geschrieben – und ich finde ihn nach wie vor aktuell. Das deutsche historische Museum Berlin hatte zu einer Blogparade aufgerufen: „Europa und das Meer.“ Das Thema ist meinem Skipper und mir eine Herzensangelegenheit. Wir sind im Sommer immer drei bis vier Monaten mit dem Segelboot auf der Ostsee unterwegs. Der Text erzählt, wie wir uns als Europäer mit dem Meer verbunden fühlen, was wir vom Meer lernen und was wir verlieren können, wenn Europa nicht zusammenhält und seine Werte verrät.
von Anke von der Emaloca 14. September 2024
(12-24) Nun sind wir in unserem Heimathafen Orth auf Fehmarn angekommen. Erst vor zwei Wochen haben wir Kopenhagen verlassen und es ist doch schon so lange her.
von Anke von der Emaloca 30. August 2024
(11-24) Vor allem ich merkte, der Speicher ist voll. So viele Eindrücke, Erlebnisse, Kontakte … ich konnte eine Auszeit nach dem Motto „Urlaub von der Reise“ gebrauchen. Prompt verordnete der Wind uns eine Pause von über einer Woche! Und danach kam das Museum Lousiana bei Kopenhagen. Wow!