Von Vändborg nach Liepaia – mit zusammengebissenen Zähnen
Achtung! Dieser Text kann Nicht-Segler und -Seglerinnen ratlos zurücklassen. Denn wahrscheinlich werden diese eher zu der Feststellung als zu der Frage kommen: „Sind die bekloppt?! Warum machen die das?!“ Ehrlich gesagt, wir wissen es auch nicht so genau. Aber einen Törn von 94 sm (ca 180 km) geschafft zu haben, ist ein unglaublich gutes Gefühl und das Anlegerbier danach schmeckt unvergleichlich.

Doch von vorne. Nach wochenlangem klimatischem Mittelmeerfeeling und trägem, entspanntem Nichtstun in den schwedischen Westschären fiel uns der Aufbruch von Tag zu Tag schwerer. Auch das friedliche, nach Kräutern duftende Gotland war schon fast dabei uns wieder einzulullen.
Doch wir gaben uns einen Ruck! Auf nach Liepaia, Lettland – von Vändborg (Gotland) aus einmal quer über die Ostsee. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 5 Knoten in der Stunde (die schafft ein sehr langsamer Fahrradfahrer locker) bedeutet das 18 bis 19 Stunden segeln.
Diverse Windvorhersagen wurden gecheckt und letztlich auf Seaman von Meno Schrader vertraut. Morgens in aller Frühe, um halb 3 Uhr, wäre eine gute Zeit, die Leinen los zu machen. Dann würden wir gegen 21 Uhr in Liepaia ankommen. Vorher schienen Wind und Welle doch etwas zu ungemütlich.

Toleranz ist gefragt
Abends Brote schmieren, alles möglichst sicher verstauen, Wecker stellen und früh in die Koje legen. Als wir gerade so gegen 21: 30 Uhr in den ersten Tiefschlaf gefallen waren, sprangen ein paar munteren Jungs direkt vor unserem Boot mit lautem Gegröle ins Wasser. Der Rettungskreuzer, der in Vändborg seinen Liegeplatz hat startete fast zeitgleich einen Übungseinsatz mit seinem nicht gerade leisen Generator und erleuchtete den Hafen taghell.
Wie schön, wenn junge Menschen ihren Spaß haben und gut, dass es die Seenotrettung gibt – dann bekommen wir eben etwas weniger Schlaf.
Alles fing perfekt an. Punkt halb drei ging es los. Der Norden war schon in kupfernes Licht getaucht; nur ein heller Stern leuchtete (Jupiter?). Von pechschwarzer Nacht konnte keine Rede sein.

Ist das segeln?
Um aus dem Windschatten von Gotland zu kommen motorten wir fast eine Stunde und trafen dabei auf mehr alte Welle als auf frischen Wind. Genua und Groß stabilisierten diesen Schlingerkurs nur bedingt. Die aus dem Meer aufsteigende Sonne bot eine wunderschöne, aber nur kurzzeitige Ablenkung.
Fakt ist: wir gurkten und hoppelten die ersten Stunden dahin. Mit flappenden Segeln fuhren wir statt mit geplanten mindestens 5 Knoten, nur mit 3 bis 4. Unser Navi berechnete unsere Ankunft in Liepaia erst für den nächsten Morgen.

So gegen 10 Uhr morgens stöhnte mein Skipper: „Wäre ich froh, wenn ich sagen könnte, komm wir machen das 1. Reff in die Genua.“
Eine Stunde später war es soweit. Der Wind erfreute uns mit 15 bis 20 Knoten, Genua und auch das Groß bekamen das 1. Reff verpasst. Während der Skipper auf dem Vordeck rumturnte, war ich am Steuer – höchste Konzentration bei uns beiden. Natürlich waren wir angepickt.
Der Haken: der Wind kam aus Nordost. Wir mussten einen Amwindkurs fahren und kamen nicht über eine Geschwindigkeit von 4,5 Knoten hinaus – ein Gefühl, als ob ein Schleppnetz am Kiel hängen würde.
Okay, nun ist hart am Wind segeln nicht unbedingt der schnellste Kurs. Wir hatten aber auch noch einen halben Knoten Strom gegenan und zu der neuen Welle kam noch lange Zeit alte Welle aus der entgegengesetzten Richtung. Bei diesem Gemisch ist der Begriff Welle eigentlich falsch. Es muss eher von Bergen, Hügeln und Buckeln (Kreuzseen) die Rede sein, die wiederum entsprechende Schiffsbewegungen mit sich bringen

Mir konnten die geschmierten Brote inzwischen gestohlen bleiben. Ab und an mümmelte ich einen trockenen Zwieback weg. Anders mein Skipper. Mit Genuss stopfte er Stullen und später auch noch Kuchen in sich hinein.
Genug ist genug
Im Laufe der Zeit verfestigte sich bei mir immer mehr der Gedanke, dass ich solche Art von Törn nicht mehr mitmachen würde, definitiv nicht! Genau das würde ich meinem Skipper nach der Ankunft in Liepaia unmissverständlich kundtun. Der schien etwas zu ahnen und verkündete alle paar Stunden eine ‚Erfolgsmeldung‘: „Oh, schon ein Drittel geschafft, oh, schon die Hälfte geschafft.“ Mein Kommentar: ein grimmiges Lächeln.

Vielleicht ist es noch erwähnenswert, dass wir keine Selbststeueranlage haben. Alle zwei Stunden wechselten wir uns daher am Ruder ab, denn unter diesen kabbeligen Bedingungen konnte unsere Emaloca nicht allein den Kurs halten. Zudem nahm der Wind so langsam aber stetig zu. Immer öfter zeigte die Uhr über 21 Knoten an (Windstärke obere 5 bis 6). Wir gönnten uns und der Genua das 2. Reff. Oh Wunder trotz noch kleinerer Segelfläche lief Emaloca endlich schneller.

Land in Sicht
Nachmittags gegen 16 Uhr hatten wir nur noch 30 sm vor uns. Wie schön, also doch noch eine Ankunft im Hellen. Und so 15 sm vor unserem Ziel war dann in der Ferne Land und bald auch die ersten Anzeichen von Liepaia zu sehen. Meine Stimmung stieg erheblich. Dann gab es auch noch problemlos im neu gebauten Jachthafen einen Liegeplatz – spätestens da war bei mir wieder alles im Lot.

Mit einem wohlverdienten Anlegerbier saßen wir zufrieden und auch etwas stolz im Cockpit. Später in der Koje kuschelte ich mich an meinen Skipper: „Gerd, geht es das nächste Mal mit etwas weniger Wind und Welle?“ „Ja, klar. Da segeln wir mit wenig Wind und ganz ohne Welle und lassen uns die ganze Zeit vom Gennaker ziehen. Zwischendrin ist dann noch 2 Stunden Flaute, damit wir gemütlich kochen und baden können. Ist das okay?“ „Das hört sich gut an. Genauso machen wir es!“ Dann schliefen wir 9 Stunden wie ein Stein.
Mittlerweile sind wir hin und weg von Liepaia, doch das ist eine andere Geschichte.

Share
