Anke von der Emaloca

Sich treiben lassen im Schärengarten von Blekinge

(4-2018) Im Schärengarten von Blekinge flanieren wir durch einen englischen Landschaftspark, treffen auf einen traurigen Schweden, einen deutschen Graugänsehüter und Verschwörungstheoretiker, auf viel Müßiggang und den falschen Wind um nach Öland zu segeln.

Der traurige Schwede

Der Schärengarten ist ein schöner Ort, um auf den Wind nach Osten Richtung Öland zu warten, vor allen Dingen bei diesen sommerlichen Temperaturen. Wir liegen am Steg einer Schäre vom Naturreservat Listerby. Ein Schwede, der mit einem kleinen Motorboot ebenfalls angelegt hat, sitzt, sich bräunend, auf dem Steg und erzählt uns, dieser Mai sei der schönste seit 50 Jahren.

Dann fügt er fassungslos hinzu: „Und morgen fahre ich mit meiner Familie nach Griechenland in Urlaub. Ich weiß auch nicht, warum ich das mache!“ Bald darauf fährt er ab, wohl um Koffer zu packen. Wir nehmen ein erfrischendes Bad.

Der idyllische Landschaftspark

Der Bewuchs dieser Schären erinnert an einen englischen Landschaftspark, viel Grasland, das locker mit Bäumen und Büschen bestanden ist. Entstanden ist diese Kulturlandschaft durch traditionelle Beweidung, die heute mit Kühen, Schafen und Pferden aufrechterhalten wird. Zahlreiche Wacholderbüsche wachsen hier, es dominieren aber Eichen, die teilweise schon Jahrhunderte alt sind.

Wir sitzen im lichten Schatten eines solchen knorrigen Zeitriesen, auf halber Höhe eines rundgeschliffenen Felsenbuckels und halten unsere Teestunde. Eigentlich ein idealer Platz um zu lesen. Doch ich schaffe es nicht, zu viel passiert. Der Wind säuselt unterschiedliche Muster aufs Wasser; leuchtend blaue oder grasgrüne Libellen surren vorbei; ein Kanadaganspaar leitet seine Jungen sicher ans Ufer; Seeschwalben zeigen ihre Flugkünste; ein Blesshuhn gibt durch Klicklaute seinen Standort an.

Dann fliegt auch noch direkt über mir ein Kuckuck, lauthals nach einem Weibchen rufend, zur gegenüberliegenden Schäre. Und dort sehen wir dann auch noch einen Seeadler mit seinen eindrucksvollen Schwingen in die Lüfte steigen.

 

Der Grauganshüter - ein Konrad Lorenz der Schäre

Eigentlich genug für einen Tag. Doch als es Abend wird, kommt noch ein Mann vorbei, dem neun junge Graugänse im wortwörtlichen Gänsemarsch folgen. Seit sie vor 5 Wochen geschlüpft sind, ist er ihre Leitfigur. Wir erfahren viel über Gänse und statten ihm und seinen kaum noch flaumigen Gefährten am nächsten Tag einen Besuch ab.

 

Der Verschwörungstheoretiker

Am nächsten Abend dann ein eher beklemmendes Erlebnis. Wir kommen ins Gespräch mit einem sehr freundlichen, höflichen Deutschen. Doch nach einer Weile friedlichen Dahinplauderns bringt dieser das Gespräch auf eine politische Ebene und macht für uns mehr als befremdliche Äußerungen zur Verharmlosung des Nationalsozialismus und des Holocaust.

Als „Beleg“, dass „alles doch gar nicht so schlimm gewesen sei“ beruft er sich auf einen jüdischen, neuseeländischen Wissenschaftler, der vor 20 Jahren alles wissenschaftlich aufgearbeitet habe. Die Arbeit sei, da so brisant, aber im Giftschrank gelandet. Er selbst habe sich diese Arbeit in Neuseeland aber unter großen Mühen beschaffen können.

 

Wir atmen schwer durch. Vergeblich versuchen wir durch Sachargumente und Nachfragen auf eine rationale Basis zu kommen. Zum Abschied schenken wir ihm das Buch „Der begrabene Riese“ von Ishiguro, dem letzten Literaturnobelpreisträger. Dieses Buch handelt von archetypischen Grundfragen der Menschheit wie Macht und Mythen, Rache und Vergebung, Hass und Liebe – ein Roman von tief berührender Humanität.

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