Törn zu den Raukars auf Gotland
Vor Visby nahm die Welle noch einmal ordentlich zu. Die Ansage meines Skippers „Wir holen das Groß erst im Fährhafen rein! Warum sollen wir uns bei diesem roly poly abmühen!“ traf deswegen auf mein vollstes Einverständnis. Die Hafeneinfahrt schon in Sichtweite, sah ich allerdings eine Fähre, die auch einlaufen wollte. „So eine Sch…, aber die braucht noch 10 Minuten bis zur Einfahrt. Wir aber auch! Mach den Motor an!“

Im nach Südwest offenen Vorhafen gab es zwar keine Hackwelle mehr, aber die Dünung machte sich noch reichlich bemerkbar. Gerd blieb am Ruder, ich barg im Eiltempo das Segel, da kam die Fähre auch schon um die Ecke. Drei „Destination Gotland“ lagen schon vertäut im Becken.

Den großen Hafen nur aus der Karte kennend und die Fähre im Nacken, fuhren wir sofort in den Yachthafen von Visby – vor dem wir schon mehrfach gewarnt worden waren. Er sei ein lauter, unruhiger Partyhafen. Zudem lief die Dünung auch noch in dieses Hafenbecken und die Boote schaukelten heftig hin und her.

Am Abend wurde der Hafen dann auch von einem Auto, das anscheinend überwiegend aus Lautsprechboxen bestand, mit Diskomusik beschallt. Wehmütig dachten wir daran, dass die Schweden uns doch den Fischereihafen empfohlen hatten. Eine Handvoll junger Leute bewegte sich dazu am Kai. Corona-Party mit Abstand im Freien?
Ruhe bewahren
Gerd fantasierte von Torpedos und das Auto ins Wasser schieben, ich versuchte es mit Autosuggestion.“ Ich bin ganz entspannt, der Lärm stört mich nicht. Ich kann gleich einschlafen!“ Warum irgendwann unvermittelt Stille eintrat, erfuhren wir am nächsten Morgen von unserem schwedischen Bootsnachbarn. Er habe die Polizei angerufen, sei dann zu den jungen Leuten gegangen, habe es ihnen erzählt und gefragt, ob es nicht sinnvoller sei, vorher zu verschwinden, da sie sonst Ärger bekämen!?! Wir bedankten uns herzlich.
Schönes Visby
Aber nun zur mittelalterlichen Hansestadt Visby. Die Hauptstadt von Gotland ist zu Recht als Weltkulturerbe ausgewiesen mit ihrer gut erhaltenen Stadtmauer, den mittelalterlichen Stadtzügen und Häusern. Autos sind aus dem alten Stadtkern verbannt, keine unpassenden Neubauten oder Anlagen zerstören das Ensemble. Davon könnte sich unsere kleine Hansestadt Warburg mal eine Scheibe abschneiden.
Als wir am Sonntag erst an der alten Stadtmauer, dann durch die Straßen schlendern, sind wenig Menschen unterwegs. Am Montagmorgen dann ein völlig anderes Bild. Zwei Kreuzfahrschiffe sind angekommen und die Gassen werden von Menschen geflutet. In Pulks werden die nun geöffneten kleinen Geschäfte geflutet. Nichts für uns – und in Coronazeiten schon gar nicht.

Schnell noch im Supermarkt Lebensmittel bunkern, um uns dann zu unserem nächsten Ziel Lickershamn an der Nordspitze Gotlands aufzumachen. Drei Stunden nervige Schaukelei mit viel alter Welle aber wenig Wind direkt von Achtern lagen vor uns.
Sommertage in Lickershamn
Aber schon die Küste sieht spannend aus und als wir endlich in die Bucht von Lickershamn einbiegen, wissen wir sofort: Das ist ein Ort zum Bleiben! Und das tun wir auch 6 ganze Tage lang genießen wir den nun eingetroffenen Hochsommer, baden vom Boot aus, erkunden per Fahrrad oder zu Fuß ein stückweit die Insel und lassen die Seele baumeln.

Einen Tag nach unserer Ankunft kommt mein Cousin Ernst mit Ingrid vom Festland angesegelt, einen Tag später läuft Hans, den wir letztes Jahr auf Anholt kennengelernt haben, mit seinem Boot ein. Tagsüber gehen wir getrennte Wege, abends stoßen wir auf die fantastischen Sonnenuntergänge an und essen gemeinsam.


Ein entspanntes Sommerurlaubsgefühl macht sich breit. Vor allen Dingen durch die Kinder, die unermüdlich vom Badesteg oder direkt von der Mole ins Wasser springen, ist von Corona-Melancholie nichts zu spüren. Kindheitserinnerungen werden wach: Baden bis die Lippen blau sind und die Zähne klappern und trotzdem kein Ende finden können.
Wir sehen unsere ersten Raukars, für die Gotland bekannt ist. Diese verwitterten Kalksteinsäulen muten teilweise an wie von Bildhauern gestaltete Kunstwerke.
Auf einem Friedhof irritieren uns eine Reihe einheitlicher Kreuze, die an einen Soldatenfriedhof erinnern. Wir stoßen wie überall in Europa auf die unrühmliche deutsche Geschichte: Nach Ende des zweiten Weltkriegs hat das Rrote Kreuz hunderte ehemalige KZ-Häftlinge nach Gotland in ein Sanatorium in Labrö gebracht. Viele starben dort noch an den erlittenen Qualen und wurden hier beigesetzt.
Auf Gotland gibt es auch rund 90 alte Steinkirchen. Die alten Malereien der Stenkyrka haben es uns besonders angetan.

Nach 6 Tagen kommt unser Reisefieber wieder und wir machen uns auf zum nördlichsten Punkt unserer Reise. Unter Motor, da der Wind auch Urlaub macht, fahren wir nach Farö, einer kleinen Insel an der Nordspitze von Gotland. Außer Raukars sollte da nicht viel sein – dachten wir und wurden eines Besseren belehrt.
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