Vorbei an der russischen Enklave Kaliningrad – das braucht keiner!
(3 + 4 - 25) „Gerd, guck mal. Ist das da eine Plattform oder ein Boot? Fährt das Ding?“ Wir gucken abwechselnd durch das Fernglas. „Das ist ein U-Boot!“ Einige Zeit später: „Es kommt auf uns zu und wird unseren Kurs kreuzen!“ Wir sind leicht angespannt.
Als wir das U-Boot sichten, sind wir bereits seit 6 Stunden auf See. Eigentlich wollten wir um 11:00 Uhr ablegen, aber irgendwie waren wir früher „klar Schiff“ und haben den Hafen Wladyslawowo schon um kurz nach 9 Uhr verlassen.
110 Seemeilen und ca 22 Stunden Segeln liegen vor uns, wir werden also am frühen Morgen in Klaipeda, Litauen ankommen.
Wir werden weit außerhalb der 12-Meilen-Zone an der russischen Enklave vorbeisegeln. So eine Zone gehört zum Staatsgebiet des jeweiligen Landes.
Entspanntes Segeln
In den ersten Stunden ist perfektes Segelwetter, wenig Welle bei einem Amwindkurs, 5 bis 5 ,5 Knoten. Herrlich - und Emaloca segelt von allein, wir brauchen kaum zu steuern. So kann es weitergehen!

Nach ungefähr 6 Stunden kommen wir in die russische Wirtschaftszone. Hier hat Russland die alleinigen Rechte für eine wirtschaftliche Nutzung (z.B. Fischerei, Öl). Die Zone ist aber auch ein internationales Gewässer, das von allen befahren werden darf – auch von Emaloca!!!

Was will das russische U-Boot von uns?
Der Kanonendonner vom Land stört uns nicht weiter, Schießgebiete gibt es auch bei uns und wir sind über 20 Seemeilen vom Land entfernt. Das U-Boot sichten wir 2 Stunden später gegen 17:00 Uhr. Es nähert sich uns in einem spitzen Winkel und gleicht sich exakt unserer Geschwindigkeit an. Deswegen können wir weder vor noch hinter ihm durchgehen. Unser Adrenalinspiegel steigt.
Während ich steuere, versucht Gerd per Funk Kontakt aufzunehmen. Seine Stimme ist fest und klar, jetzt bloß keine Unsicherheit zeigen. Wie zu erwarten, reagieren sie nicht. Meine Knie fangen unkontrolliert an zu zittern und mein Mund ist ausgetrocknet.

Ich wage es nicht, ein Foto zu machen. Es ist so unheimlich, keinen einzigen Menschen, nur den Turm vom U-Boot mit den Rohren zu sehen und zu wissen, dass wir genau beobachtet werden.
Wir müssen wenden, sonst stoßen wir zusammen. Dabei haben wir unter Segeln „Vorfahrt“! Das U-Boot reagiert auf unsere Wende, es stoppt auf. Warum fahren sie nicht einfach weiter?! Wollen sie uns zwingen, zurück nach Polen zu segeln?
Nachdem wir wieder etwas mehr Abstand gewonnen haben, machen wir eine weitere Wende und nehmen unseren Kurs wieder auf.
Die Nerven liegen blank
„Gerd verdammt, sie kommen wieder!“ „Tja, was können wir tun?! Die wollen anscheinend mit uns spielen. Dann müssen wir wohl immer wieder wenden, die halbe Nacht durch!“ Er hat recht, wir können nichts tun. Ich rede mit mir: Anke, durchatmen, ruhig bleiben, Nerven bewahren. Gerd und ich sind ein gutes Team, wir werden es schon schaffen.
Das U-Boot fährt jetzt parallel zu uns, kommt aber nicht mehr näher. Irgendwann lässt es von uns ab. Immer wieder gucke ich durchs Fernglas, ob sie nicht doch zurückkommen.
Gerade, als unsere Anspannung langsam etwas nachlässt und Gerd etwas schlafen will, sehe ich 2 weitere Objekte an Steuerbord. Wieder starren wir durch das Fernglas. Es sind keine U-Boote, sondern kleinere Fregatten.
Bange Minuten, ob die auch zu uns kommen. Nein, wir interessieren sie offensichtlich nicht. Sie fahren in hoher Geschwindigkeit und großem Abstand an uns vorbei.

Per Funk hören wir, wie ein polnischer Segler auf dem internationalen Kanal 16 „All ships, all ships, all ships“ ruft und vor einem russischen Kriegsschiff warnt, das ihn wohl abdrängen wollte. Das Boot muss sehr weit weg sein, denn wir können nicht alles verstehen.
Gerd geht in den Salon, um etwas Energie für die Nacht zu tanken, denn da wird der Wind aufbrisen, Schauerböen sind angekündigt. Und schon sehe ich wieder ein Boot kommen, diesmal von Backbord. Russische Küstenwache? Wieder beobachten wir genau, was es macht. Aufatmen. Auch dieses Boot lässt uns in Ruhe.

Russen weg, Wind und Welle da
Um 23 Uhr sind wir endlich raus aus der russischen Wirtschaftszone. Wind und Wellen nehmen zu. Letztlich haben wir das Groß gerefft und im Lauf der Nacht ist unser Vorsegel zu einem kleinen Handtuch geworden. Von den angekündigten Schauerböen bekommen wir nur die knackigen Böen und einen leichten Nieselregen ab.
Wenn einer steuert, döst der andere – ebenfalls an Deck - vor sich hin. Emaloca steckt jede Böe und jede Hackwelle wunderbar weg.

So gegen 6 Uhr am Montagmorgen laufen wir in Klaipeda ein. Eine heiße Suppe essen, dann komatöses Schlafen. Haben wir das wirklich alles erlebt? Es ist das vierte Mal, dass wir diese Strecke entlang der russischen Enklave gesegelt sind. Wir sind uns einig: es wird keine weitere Wiederholung geben.
Im Nachhinein denken wir: Ach ihr heldenhaften Russen in eurem alten, stinkendem U-Boot, euch ist der Anstand völlig abhanden gekommen! Bei uns sind es nur eure „Bemühungen“ uns zu drangsalieren. Wir denken an unsere syrischen und ukrainischen Freunde und Bekannten, bei ihnen und in ihren Ländern waren und sind es nicht nur plumpe Drohgebärden, sondern da führt ihr euren verbrecherischen Krieg …

Deutsche werden geschont
Am Steg kommen wir mit einem litauischen Segler ins Gespräch. Als wir erzählen, woher wir kommen fragt er mit ironischem Unterton: „Na, haben euch die Russen auch geärgert?“ Wir antworten ganz ernsthaft: „Ja, es war nicht lustig. Es sind richtige A…löcher!“ und erzählen ihm unsere Geschichte.
„Wir segeln immer den Umweg außerhalb der Wirtschaftszone!“ „Wirklich, aber das sind doch über 160 Seemeilen!“ Er zuckt mit den Achseln: „Wir sind ein kleines Land, da können sie sich einiges erlauben! Ihr habt eine deutsche Fahne, da trauen sie sich nicht so richtig!“ Betroffen stehen wir da. Uns wird der Spiegel vorgehalten wie privilegiert wir Deutschen sind.

Europaskeptische Wahlergebnisse in Polen
Als wir aus dem Tiefschlaf erwachen, lesen wir, dass die knappe Mehrheit der Polen sich für den europaskeptischen rechten Kandidaten entschieden hat. Wie kann das sein?
In Danzig waren wir 3 Stunden in dem im Europäischem Zentrum für Solidarität (Solidarnocs-Museum) und haben nachvollzogen, wie die polnischen Werftarbeiter gegen das kommunistische Regime aufbegehrt haben.
Uns bewegt die spannend aufbereitete Geschichte sehr, gerade im Hinblick auf den nationalistischen Rollback in Europa.

„Mit dem Siegel werden europäische Kulturerbestätten ausgezeichnet, die Meilensteine auf dem Weg zur Schaffung des heutigen Europas sind. (…) Die Kulturerbestätten „symbolisieren sowohl die europäischen Ideale und Werte als auch die Geschichte und Integration Europas.“
Und nun dieses Wahlergebnis!
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