Anke von de Emaloca

Wellen, Wind und die Tour de France

Unser erster Segeltag fing so gut an! Wind aus Süd Südost mit Windstärken um 3 bis 5, so dass wir uns von unserer Genua gen Norden ziehen lassen konnten. Die Sonne schien, ein Schweinswal umkreiste für einige Zeit unser Boot und zeigte uns spielerisch, wer hier die Elemente wirklich beherrscht.

Also warum nach 25 Seemeilen in Bagenkop Stopp machen und nicht gleich 10 Seemeilen weiter bis nach Marstal segeln?! Starkwind war ja erst ab dem späten Nachmittag angesagt. Der fing aber leider genau an zu blasen, als wir anlegen wollten. Was tun? Wir zögerten in eine Boxengasse fahren, um einen freien Platz zu suchen. Die Gefahr, vom Wind weiter als uns lieb gewesen wäre in die Gasse reingedrückt zu werden, schien uns zu groß.


Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da …

An einem Steg war ganz vorn noch ein Platz frei. Ich erwischte mit der Leine den Luvpfahl. Mit Hilfe eines freundlichen Seglers am Steg konnten wir uns sicher vertäuen. Seine leicht ironischen Abschiedsworte: „Na denn mal eine schöne Nacht!“ fielen mir erst wieder ein, als es Nacht wurde.

Natürlich kennen wir den Hafen von Marstal, hatten aber völlig verdrängt, dass dieser bei starkem Ostwind nicht gerade die beste Wahl ist. Und genau daher kam der Wind, hatte seit unserem Anleger noch kräftig zugelegt und heftige Böen von der Windstärke 7 erwischten unser Boot mit voller Breitseite. Wellen brachen mit knallendem Geräusch an die Bordwand, der Wind zerrte an den Leinen und rüttelte uns durch.


Mehrfach kletterte mein Skipper aus der Koje, ging mit Stirnlampe aufs Deck, kontrollierte unsere Leinen und Fender. Alles okay! In den frühen Morgenstunden hatte der Wind leicht gedreht und das Wellenknallen beendet. Dafür goss es nun in Strömen und ein Dauerquietschen an der anderen Seite der Bordwand war nicht zu überhören.

Was blieb uns übrig als die Segelklamotten anzuziehen, sich in den Regen zu begeben und die Fender vom Fenderbrett wieder dahin zu schieben wohin sie gehörten, damit es keine Schäden am Boot gab.

Am nächsten Tag, der Wind war weg aber ein Dauernieselregen war geblieben, gaben wir nach 2 Stunden motoren auf – für einen komatösen Mittagsschlaf in Rudköbing.

Ist da der Wurm drin?

Nun sind wir schon seit 5 Tagen in Nyborg. Der Grund: Zu viel oder gar kein Wind - und eine ausgefallene Zahnplombe meines Skippers, natürlich passend zu Christi Himmelfahrt, ganz Dänemark im verlängerten Wochende, so dass kein Zahnarzt erreichbar war.

Nyborg ist aber ein schönes altes Städtchen, wir gehen bei Starkwind zu Fuß, lesen bei Regen, nutzen bei trockenem Wetter unsere Fahrräder und können direkt vom Fischer fangfrische Rotzunge kaufen. Es ist also, wenn überhaupt, ein Jammern auf sehr hohem Niveau.

Ganz normal!

Als wir von einer Fahrradtour zurückkommen, spielt eine Band vor einer Imbissbude am Hafen. Wir trinken einen Kaffee und genießen die Livemusik. Ein junger Mann mit Handicap stampft vor der Bühne voller Hingabe den Rhythmus der Musik, was den Bandleader offensichtlich leicht irritiert.

Er blickt freundlich auffordernd zu den etwas entfernt sitzenden Eltern. Vergeblich, diese bleiben lächelnd sitzen. Da springt eine Frau so um die 50 Jahre von ihrem Tisch auf, passt sich den Stampfschritten des jungen Mannes an und tanzt zu seiner Begeisterung mit ihm eine Polonaise rund um ein paar Tische. Als das Stück zu Ende ist, gehen beide wieder zu ihren Plätzen. Wieder einmal erleben wir berührt, mit welcher Selbstverständlichkeit behinderte Menschen in Skandinavien dazugehören.

Tour de France statt Solidarität mit der Ukraine?

Uns fällt bei unseren Rundgängen auf, dass in Nyborg - anders als in Deutschland -nirgends ein Zeichen von Solidarität mit der Ukraine zu sehen ist, keine blaugelben Fahnen oder Friedenstauben in den Schulfenstern. Dafür wird in jedem Schaufenster Werbung für die Tour de France gemacht, die wohl im Juli hier vorbeikommt.

Wir lesen gerade die Kriegstagebücher von Astrid Lindgren „Die Menschheit muss den Verstand verloren haben“ – der Titel ist leider immer noch aktuell. Beeindruckend ist, wie schonungslos und mitfühlend sie die Folgen des Zweiten Weltkrieges beschreibt und versucht, die politische Lage einzuschätzen. Gleichzeitig schafft sie es, den Alltag mit ihrer Familie und ihren Freunden zu genießen und angesichts der Bedrohung doppelt wert zu schätzen.

Wir versuchen, es ihr gleich zu tun!

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von Anke von der Emaloca 22. April 2025
Den nachfolgenden Text habe ich 2018 geschrieben – und ich finde ihn nach wie vor aktuell. Das deutsche historische Museum Berlin hatte zu einer Blogparade aufgerufen: „Europa und das Meer.“ Das Thema ist meinem Skipper und mir eine Herzensangelegenheit. Wir sind im Sommer immer drei bis vier Monaten mit dem Segelboot auf der Ostsee unterwegs. Der Text erzählt, wie wir uns als Europäer mit dem Meer verbunden fühlen, was wir vom Meer lernen und was wir verlieren können, wenn Europa nicht zusammenhält und seine Werte verrät.
von Anke von der Emaloca 14. September 2024
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von Anke von der Emaloca 30. August 2024
(11-24) Vor allem ich merkte, der Speicher ist voll. So viele Eindrücke, Erlebnisse, Kontakte … ich konnte eine Auszeit nach dem Motto „Urlaub von der Reise“ gebrauchen. Prompt verordnete der Wind uns eine Pause von über einer Woche! Und danach kam das Museum Lousiana bei Kopenhagen. Wow!