Anke von der Emaloca

Weltnaturerbe Höga Kusten – Vorhang auf

(6-23) Unsere Neugier auf die Höga Kusten steigt. Denn am Horizont sehen wir schon seit einiger Zeit im Dunst liegende ‚blaue Berge‘. Noch einmal kräftig Lebensmittel bunkern im Sundsvall und dann fällt die Entscheidung für ein kleines Abenteuer. Wir wollen in einem kleinen Vereinshafen Midsommar verbringen. Dazu muss man durch einen kleinen, engen Kanal mit einer angegebenen Wassertiefe von 2 Metern.

Kattskär wir kommen - hoffentlich


Genau das Richtige für meinen Skipper, während ich vorne auf dem Bug kniee und wie eine hektische Verkehrspolizistin Zeichen gebe, denn ich sehe wie schmal und flach die Fahrrinne ist. Beide Arme nach vorne schwenken bedeutet: weiter geradeaus. Mit dem linken Arm zum Ufer blinken (je hektischer desto mehr): nach Backbord, rechten Arm entsprechend nach Steuerbord.

Geschafft, wir sind durch, das Wasser ist wieder tiefer! Wir sehen Kattskär mit dem kleinen Vereinssteg an dem eine Handvoll Boote liegen. Der Steg sieht voll aus, obwohl es noch etliche nicht besetzte Mooringbojen gibt, aber die Zuordnung ist völlig unklar. Ratlosigkeit auf unserer Seite. Das bemerkt ein Schwede und signalisiert uns, welche Boje wir nehmen sollen. Gleich mehrere Menschen helfen uns anzulegen. Viel Platz ist nämlich nicht und der Weg auf den Steg ist schon mit Leinen belegt.

Was für ein herzliches Willkommen


Als wir gestehen, dass wir das System der Bojenanordnung nicht verstanden hätten, gibt es Gelächter. Es gäbe keines, das Eis im Winter würde die Bojen teilweise sowieso umsetzen.


Wir, die einzigen Fremden am Steg, werden so herzlich aufgenommen, dass uns ganz warm ums Herz wird. Sofort kommt eine Einladung zum Punsch und Lunch, ob wir nicht Lust hätten, mit ihnen Midsommar zu feiern.



Heringstücke aus Gläsern, eingelegt in etlichen Varianten; kleine Pellkartoffeln, Knäckebrot…. Wir müssen alles probieren, auch das kleine Fläschchen einheimischen Schnaps. Gemeinsam werden während des Essens Trinklieder gesungen, die alle mit ‚Skal‘ enden. Wir steuern unseren Extraklasse-Rum bei. Ein Gitarrist hält alle zusammen, später kommen auch Klassiker wie ‚Let it be‘ oder ‚Hotel California.‘

Die Mischung macht‘s


Eine bunte Mischung aus unterschiedlichen Menschen, die sich aber offensichtlich über den Segelverein sehr gut kennen, feiert friedlich zusammen. Der Gitarrist hat eine 11jährige Chihuahua-Dame mit Strasshalsband dabei. Das 500gramm schwere Hündchen hockt die ganze Zeit bei irgendwem auf dem Schoß, denn sie und der nette, aber stürmische Boxer Bob passen nicht so gut zusammen.

Ein Ehepaar, so um die 80, noch mit dem eigenen Segelboot unterwegs, swingt und singt fröhlich mit. Ein junger Mann, nicht älter als 30 ist allein mit seinem alten, aber top gepflegten Motorboot gekommen. Ich muss es besichtigen, es ist ein wahres Museum. Ein Paar, Mitte 50, hat sich eine Nautikat gekauft und träumt davon, nach Spitzbergen zu segeln.

Viel zu erzählen


Mit ihnen kommen wir länger ins Gespräch, das wir am nächsten Tag bei uns und bei ihnen auf dem Boot wieder aufnehmen. Neben den klassischen Segelthemen kommt auch Tiefschürfendes auf den Tisch. Sie ist Lehrerin, erzählt von ihrem burnout. Von dem guten Image des schwedischen Schulsystems, sei nicht mehr viel wahr. Viele Flüchtlingskinder, die die Sprache noch nicht kennen und Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf …. aber nicht mehr Personal! Solche Probleme kennen wir aus Deutschland auch.

Auch sind die Beiden wie wir besorgt über die Entwicklung in Europa, das offensichtlich immer mehr nach Rechts rückt, den Ukrainekrieg und die Unberechenbarkeit von Russland …. So schwer die Themen auch sind, aber es ist auch ein gutes Gefühl zu spüren, dass es Menschen  gibt, die sich ähnliche Gedanken machen.


Die Verabschiedung am übernächsten Tag ist mehr als herzlich. Wir hätten es auch noch länger gemeinsam miteinander ausgehalten. Aber die Schweden müssen zurück in ihren Alltag, wir wollen weiter, die Höga Kusten erkunden. Wir haben von ihnen so viele Plätze empfohlen bekommen … in einer Saison nicht zu schaffen.


Hochsaison?


In Harnösand beginnt die Region Höga Kusten. Der Südhafen ist leer, der Blick ist frei, wir sind das einzige bewohnte Boot im Hafen - von Hochsaison keine Spur.

Mit telefonischer Voranmeldung geht es durch 2 Bücken und einen engen Kanal mit einem kurzen Schlag nach Lustholmen.

Ein idyllischer Hafen, bei dem sogar ein Biber direkt hinter dem Steg seine Burg gebaut hat. Wir machen eine erste kleine Wanderung auf einen Berg mit Blicken auf die Region und den Hafen.

Anschließend Saunagenuss mit Panoramafenster zum Meer. Während wir schwitzen können wir beobachten, wie kalter Seenebel auf uns zudriftet.

Fahrradtortur


Eine Fahrradtour soll uns zu einer alten Festung mit fantastischem Blick und Café über Höga Kusten führen. Die Hinfahrt wird für mich zur leichten Quälerei, da wir über die Passstrasse fahren. Gefühlt geht es mehrfach 2/3 hoch, dann 1/3 wieder runter…

Ich bekomme zusätzlichen Stress bei dem Gedanken an die Rückfahrt. Endlich oben müssen wir wieder ein Stück runterfahren, denn die Festung liegt auf 160 Meter. Außerdem stammt sie nicht aus dem Mittelalter sondern aus dem kalten Krieg und ist ein riesiges Freilichtmuseum.

Ausblicke, Ausblicke, Ausblicke


Nicht nur der Blick von dort ist grandios, auch das Menü. Ich schaufele Backkartoffeln, Salat, Hähnchenschnitzel in mich rein, verdränge mein Wissen über Qualzucht usw. Meine Kräfte kommen langsam wieder und Gerd findet zu meinem großen Glück einen viel bequemeren Rückweg, fast nur bergab. Alles hat sich gelohnt.

Vom kleinen Hafen Lövvik aus gibt es diesmal zu Fuß einen steilen Aufstieg zum Valkallen (241m) - ohne Festung und Menü.

Wir haben Tee und Plätzchen dabei und genießen den Panoramablick. Es ist einfach nur HERRLICH!

Naturwunder Höga Kusten


Die Höga Kusten ist seit 2000 als Weltnaturerbe anerkannt – und das völlig zu Recht. Wikipedia erklärt es so: Während der letzten Eiszeit war ganz Schweden mit einer etwa 3 km dicken Eisschicht bedeckt, die durch ihr Gewicht das Land herunterdrückte. Vor etwa 10.000 Jahren fingen die Gletscher an zu schmelzen und das Land begann sich um 285 Meter zu heben – so entstand die Höga Kusten, einzigartig in der Welt.

Noch heute steigt hier das Land um jährlich 8 Millimeter. Die Tiefe des Kanals zur Kattskär, auf der wir Midsommar gefeiert haben, betrug bei seinem Bau vor 100 Jahren 3 Meter, jetzt sind es noch 2 Meter.


Wir haben noch viel zu entdecken!

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